oder: Kommunikation zwischen postmodernen Menschen
Es ist schon interessant. Fast merkwürdig. Denn einerseits scheint es vielen, vielen Menschen hier so unendlich schwer zu fallen, sich anderen Lebewesen der Gattung Mensch zu zeigen, ein wenig von sich preiszugeben, eine Unterhaltung mit einem Unbekannten zu führen. Doch bei anderen Gelegenheiten schlägt diese vermeintliche Scheu in ein krasses Gegenteil um. Und zwar überraschend schnell und übertrieben krass.
Da kann es zum Beispiel passieren, dass dir ein Mensch mitten im Stadtgewühl sein Herz mit überschwänglich emotionalen Ausbrüchen ausschüttet. Unter Umständen mit solchem Nachdruck, dass der Rest des Gewühls nur verwundert den Kopf schüttelt. Hinterher wird dem Betroffenen das totpeinlich sein, und er wird vermutlich den Kontakt zu dir abbrechen. Aber in diesem Moment hatte er das Gefühl, dass Du der einzige auf der ganzen weiten Welt bist, der sich interessiert, und deswegen konnte er sich in diesem Moment einfach nicht zurückhalten.
Oder Facebook & Co, ein anderes Beispiel. Da werden die allergrößten Unwichtigkeiten, die die Welt nicht interessiert, publiziert. Ich bin stets im Bilde, ob der Pudding nun gerade angebrannt ist, der Zug verspätet oder das Klo wegen unnormaler Verdauungsaktivität verstopft ist. Im Zeitalter der Smartphones, die in Skandinavien zehnmal so populär sind wie in Deutschland, kann es durchaus passieren, das in ein und demselben Bus zwei Leute über Handy und Onlinestatus darüber austauschen wie’s denn grad so läuft. Anstatt sich von Mensch zu Mensch ihrer gottgegebenen Stimmen zu bedienen oder anstatt auf den Touchscreen zu glotzen sich in ihre wahren wahrscheinlich wunderschönen Augen zu sehen. (Möglicherweise wissen sie aber vor lauter Touchscreen gar nicht, dass sie gerade im selben Bus sitzen, vielleicht sogar nebeneinander!)
Oder das Radio. Da werden irgendwelche Geschichten vorgelesen, die irgendwelche Leute irgendwann mal erlebt haben. Und dann werden diese Geschichten landesweit in Form von Höreranrufen diskutiert. Jeder gibt seinen Senf dazu und erklärt, wie er oder sie das auch mal so erlebt haben und wie das alles so war. Dabei werden immer wieder private, gar intime Details in einer Ausführlichkeit diskutiert, dass ich mich manchmal gezwungen sehe, das Radio kurzerhand abzustellen, weil ich es so genau also wirklich gar nicht wissen will. Wahrscheinlich waren in den ersten Jahren unseres Schwedenaufenthalts lediglich meine Sprachkenntnisse noch nicht entwickelt genug, um alle diese Details aufzuschnappen. Manchmal finde ich das schade. Die Zeiten der naiven Unschuld sind vorbei.
Was sagt mir das? Zwei Dinge. Erstens, es gibt ein großes Mitteilungsbedürfnis. Das ist ganz normal. Jeder Mensch hat das. Jeder will hören und gehört werden. Zweitens: Wenn das Mitteilungsbedürfnis nicht durch echte Menschen aus Fleisch und Blut gedeckt wird, dann sucht es sich andere Kanäle. Oder es staut sich auf, bis der Damm bricht. Und sei es in der vollbesetzten Straßenbahn. Dann gibt es kein Halten mehr. Alles muss raus. Allein, dass man sich hinterher ziemlich ausgekotzt fühlt.
Und so stehe ich da. Versuche, Menschen zusammenzubringen. Gemeinschaften zu schaffen. Kommunikation zu fördern. Doch keiner kommt. Auf der anderen Seite kann ich mich ab und zu mal im Gedränge ankotzen lassen; die Erfahrung, ein öffentlicher Seelenmülleimer zu sein, macht schließlich auch nicht jeder. Und ich weiß bestens über den Tagesablauf meiner Facebookfreunde Bescheid. Außerdem kann ich mich beim Frühstücksradio über ausgefeilte Masturbationstechniken informieren. Da schmeckt das Müsli. So ist das hier. Nun verstehe ich mich aber als eine Art frommer Kulturarchitekt. Was macht man da?
Nun, wir überlegen, das Eine mit dem Anderen zu verbinden. Wenn es ein Mitteilungsbedürfnis gibt, aber Scheu vor echten Begegnungen, warum schaffen wir dann nicht eine Art Online-Community mit lebensrelevantem Inhalt? Eine Art “Facebookkirche”, wenn man so will. Nicht, um eine echte Kirche zu ersetzen, sonder als Stufe auf dem Weg in eine echte Gemeinschaft? Wir sind dabei, uns darüber ernste Gedanken zu machen, wie so etwas aussehen könnte, sowohl vom Design als auch inhaltlich. Das wird wahrscheinlich einige Monate dauern, bis wir mit so etwas online gehen können. Bis jetzt spricht jedenfalls nichts dagegen, warum dies nicht eine angebrachte Sache sein könnte. Aber auch hier gilt: Jedes Bit und Byte sollte im Heiligen Geist programmiert werden. Und da kommt Ihr wieder ins Spiel. Mit Euren Gebeten. Also, wie isses, betet Ihr für uns?!