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Radikal und Religion klingt nicht gut in unseren Ohren. Da schwingt “totalitär” mit, “fundamentalistisch”, kurz: gefährlich. “Religion light” ist angesagt, Privatspiritualität ohne aufzufallen. Dabei ist radikal erstens gar kein gefährliches Wort, und zweitens ist es genau das, was heute und in Zukunft gebraucht wird: radikale Nachfolge. Die Täuferbewegung wurde, wie schon erwähnt, die “radikale Reformation” genannt, konsequent und kompromisslos (und hier wird die Regel gemeint, nicht Entgleisungen wie Münster).

John Stott hat es treffend ausgedrückt:*

“Warum also ‘radikal’? Das Wort “radikal” stammt vom lateinischen radix, welches Wurzel bedeutet. In England benutzte man dieses Wort anfangs, um im 19. Jh Politiker wie William Cobbert und ihre extremen liberalen oder reformatorischen Ansichten zu stempeln. Seither benutzt man es vor allem für Menschen mit tief gewurzelten Ansichten und vollkommenen Engagement.


Man kann sich fragen, warum Jüngerschaft ausgerechnet radikal sein soll. Die Antwort liegt auf der Hand. […] Jesus selbst illustrierte genau das, als er vom Sämann sprach. […] Was nämlich auf steinigen Boden fiel, ‘war ohne Wurzel’. 


Gewöhnlicherweise vermeiden wir radikale Nachfolge dadurch, indem wir selektiv sind. Wir wählen die Bereiche aus, die uns passen und wo wir uns engagieren wollen und halten uns fern von dem, was uns zu viel kosten würden. Weil aber Jesus der Herr ist haben nicht wir das Recht zu wählen, in welchen Bereichen wir uns unterwerfen und welche wir verwerfen.”

Stott stellt eine Liste aus acht Punkten auf, die für ihn zur radikalen Jüngerschaft dazugehören. Ich nenne hier nur die Überschriften.

  1. Nonkonformismus
  2. Christusgleichheit
  3. Reife
  4. Umweltbewusstsein
  5. Einfachheit
  6. Gleichgewicht
  7. Vertrauen
  8. Tod

Wer mehr zu diesen Punkten wissen möchte, möge sich Stotts Buch besorgen, welches ich sehr empfehle.

Bei allem Politikerblabla, aller Korruption und Geldgeilheit sehnt sich die Masse Europas eigentlich nach Menschen mit Vision, Kraft, Ausdauer. Man wünscht sich Leute, die nicht sich selber und ihr Konto, sondern das Allgemeine sehen und sich dafür einsetzen. Menschen, die aus der Reihe tanzen und Ungewöhnliches wagen – und die zu ihren Ansichten stehen, auch wenn’s teuer wird. Christen hätten wirklich das Zeug dazu, Europa zu verändern und den Preis dafür zu zahlen. Die ersten drei Jahrhunderte sind ein Beweis. Doch Christen sind heute so ziemlich die letzten, von denen allgemeine Innovation und nachhaltige Veränderung erwartet wird. Warum? Nur verschwindend wenige sind wirklich kompromisslose Nachfolger. Die meisten selektieren lieber, wenn’s um Nachfolge geht. Wie’s seit Konstantin eben üblich ist.

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Aus John Stott, The Radical Disciple, 2010. Eigene Übersetzung ins Deutsche aus der schwedischen Ausgabe, S.8-9.

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marcusis@icloud.com

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