Vielleicht wiederhole ich mich ja, doch wahrscheinlich kann es nicht oft genug gesagt werden: In Zukunft wird in unseren Gemeinden ein gewaltiges Umdenken nötig sein. So richtig werden wir das erst verstehen können, wenn uns der Gegenwind noch kälter ins Gesicht beißt. Kleine Wolken am Himmel mögen nebensächlich erscheinen, doch in Wahrheit kündigen sie Unwetter an. Es gibt viele Kleinigkeiten, die uns ankündigen, dass wir uns nicht mehr lange auf die konstantinische Vormachtstellung der Kirche verlassen können. Der Wind dreht sich leider nicht abrupt. Deshalb gewöhnt man sich so leicht und merkt es kaum.
Es gibt zwei Auswege aus der Gefahr: Flucht oder List. Flucht ist das, was uns Schafen am natürlichsten ist. Ist man in der Welt nicht mehr akzeptiert, zieht man sich zunächst ins fromme Gemeindeleben zurück. Die Kuschelgruppe gibt uns Sicherheit und man führt ein Doppelleben, das fromme und das öffentliche. Bei weiter wachsender Gefahr verschwindet man schließlich im Untergrund.
Den vermeintlich dritten Ausweg, die Anpassung, lässt Jesus nicht zu. Er findet erschreckend deutliche Worte über solche, die einen lauen Glauben leben und ihn “Herr, Herr!” nennen aber ihm von Sonntag 12 Uhr bis nächsten Sonntag 10 Uhr eigentlich gar nicht nachfolgen. Für uns fühlt sich Anpassung wie eine Kleinigkeit sein, für Jesus ist es das nicht.
Als guter Hirte weiß er gut, wie Schafe so sind und was Schafe so brauchen. Er führt uns zu den richtig guten Mahlzeiten und den leckersten, erfrischendsten Getränke, er sucht Schafe auf Abwegen und lässt uns in dunklen Tälern nicht allein. Doch fliehende Schafe will er nicht, absolut nicht. Im Gegenteil. Er setzt uns nicht nur Gefahren aus, er schickt uns mitten rein. Mitten unter die Wölfe.
Jesus lehrt uns nur eine einzige Strategie für brenzlige Zeiten: Mut und List, gefüllt mit Glauben und Gehorsam. Unmissverständlich sagt er, dass wir schlau aber ehrlich sein sollen. Mitunter gibt er uns sogar den unerwarteten Seitenhieb, dass wir Frommen in Sachen Klugheit durchaus was von der Welt lernen können (Lk 16,8). Das sollte uns doch zu denken geben.
Während meiner Jahre im medizintechnischen Außendienst lernte ich zu verstehen, was Konkurrenz ist und wie man sich behauptet. Im geistlichen Außendienst geht es mir heute ähnlich: Der Glaube hat kein Monopol mehr und es gibt verdammt viel Konkurrenz. Die “Konkurrenz” wird so hart werden, dass man uns irgendwann komplett vom “Markt” verdrängen möchte – zumindest im Westen. Als Medizintechniker wurde mir klar, dass es selten das Produkt selbst ist, wofür sich der Kunde entscheidet. Meistens sind es die Kleinigkeiten drumherum: Kundenbesuche, den Kunden mit Namen ansprechen, ein Pfund Kaffee für den Pausenraum.
Wir Christen werden in Zukunft viel besser werden müssen, uns Freunde in der Welt zu machen. Der Wolf muss lernen, dass er jenes Schaf besser nicht auffrisst, weil dies ein großer Verlust für ihn selbst wäre. Das ist keine Garantie, dass er es nicht eines Tages doch tut – denn ein Wolf bleibt ein Wolf und ein Schaf ein Schaf – doch Jesus sagt schließlich, wir sollen keine Angst vor denen haben, die uns auffressen können, selbst wenn sie es tun werden. Klugheit kann den Todesbiss jedoch beträchtlich hinauszögern und gibt uns längere Chancen, die Welt zu verändern.
Noch können die Wölfe des Westens sich solches nicht erlauben. Deshalb wäre es gerade jetzt an der Zeit, umzudenken und sich in glaubend-ehrlicher Klugheit zu üben. Sich Freunde unter den Wölfen zu machen. Zum Üben könnte man ja auch hier mit Kleinigkeiten anfangen. Schließlich wollen wir doch, dass Gottes Reich nicht ausgemerzt, sondern weiter nachhaltig gebaut wird. Und wer heute nicht mit Vernunft handelt, dessen Eifer ist morgen auch nichts nütze; und wer hastig läuft, tritt fehl (Spr 19,2).