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Vor den Schlussfolgerungen bitte die ganze Serie lesen: Hier geht’s zum Anfang. 

Zum Abschluss nenne ich zehn Schlussfolgerungen, die immer wieder beim Nachdenken auftauchen. Abgesehen von der ersten Schlussfolgerung ist der Rest ungeordnet und ohne Rangordnung.

Erstens: Gnade hat Vorfahrt

Noch einmal: Es geht um Gottes Standards und Gottes Gnade. Die Betonung muss auf der Gnade liegen, denn so macht Gott es auch mit uns. Doch ist Gnade ohne Urteil keine Gnade, sondern wertloses Geschwafel. Das Urteil lautet: Wir sind alle Sünder. Das gilt auch bei sexualethischen Fragen. Zu glauben, manche seien in Gottes Augen “moralischer” als andere, ist eine fromme, selbstgefällige Seifenblase. Jeder braucht Gnade. Gott erwartet, dass wir allen Andersdenkenden und -lebenden mit derselben Herzenzhaltung begegnen, wie Er uns.

Zweitens: Die Ehe ist mehr als nur ein Versprechen

Sollte es so sein, wie ich vorschlug, dass nämlich Ehe, wie wir sie kennen, neben den üblichen menschlichen und gesellschaftlichen Aspekten vor allem auch ein Symbol der Beziehung zwischen Gott und Menschheit ist, in der Gott der Bräutigam und die (erlöste) Menschheit die Braut ist, dann würde eine Ehe zwischen zwei Männern zwei Allmächtige nebeneinander symbolisieren, eine Ehe zwischen zwei Frauen wäre ein Bild für eine sich selbst anbetende Menschheit. Keins von beiden wäre so gesehen zu befürworten.

Drittens: Wer keine Homosexuelle persönlich kennt, muss vorsichtig mit Worten sein

Ich möchte allen Christen empfehlen, einige homosexuell empfindende Menschen so persönlich wie möglich kennenzulernen. Es ist nämlich leicht, Menschen abzulehnen, die einem persönlich gar nichts bedeuten. 

Viertens: Geh nicht davon aus, dass es in deiner Gemeinde sowieso keine Leute mit homosexuellen Gefühlen gibt

Persönlich habe ich in vergangenen Jahren eine Lektion gelernt: Auch wenn ich in noch so fromme Gemeinden gehe, gehe ich nicht mehr davon aus, dass es hier keine homosexuell empfindenden Menschen gibt. Es gibt nämlich mehr, als man meint, die leise vor sich hinleiden und nichts und niemand haben, an den sie sich in ihrer Zerissenheit wenden können. Durch die Art, wie ich rede oder bin, möchte ich Jesus reflektieren und gerade solchen Menschen ein Gefühl der Sicherheit geben.

Fünftens: Kernfamilie unbiblisch

Das in Gemeinden so starkt betonte und hochgelobte Modell der Kernfamilie stelle ich nicht nur in Frage, sondern bezeichne es frank und frei als unbiblisch und destruktiv für unsere heutige Gesellschaft. Die Kernfamilie ist eine Erfindung viel späterer Jahrhunderte, und in der Bibel gibt es sie erst recht nicht. (An anderer Stelle habe ich bereits über das Märchen der “Kernfamilie” Maria, Josef, Jesuskind geschrieben.) Die Kernfamilie teilt die Menschen nämlich in zwei Kategorien: In die heile Welt jener, die dazugehören dürfen und den traurigen Rest der Welt, die ihres Elends auch noch ständig erinnert werden, wenn glückliche Fromme über den biblischen Wert stabiler Familien philosophieren. Homosexuelle, Singles, Geschiedene, Waisen, Flüchtlinge, Verwitwete, sie alle werden von der Kernfamilie ausgeschlossen und dürfen sehen wo sie bleiben. Das biblische Modell ist hingegen vielmehr das eines Clans oder einer Großfamilie. Die Gemeinde der Zukunft wird mehr und mehr Familienersatz werden müssen in der Art einer Großfamilie.

Sextens: Sprechen lernen

In dieser Großfamilie muss man lernen, offen über Sexualität reden zu können. In klassischen Gemeinden auch. Alle Menschen mit sexuellen Bedürfnissen müssen sich in einem sicheren und vertrauensvollen Rahmen dazu äußern und mitreden dürfen, nicht nur die heterosexuell Verheirateten (wobei auch über deren Sexualität nicht viel gesprochen wird, man sie eher stillschweigend als “funktionierend” voraussetzt). Man muss herausfinden, was Jesusnachfolge für jeden einzelnen Fall in unserer Gemeinschaft bedeutet. Wo sind die Standards, was sind realistische, erstrebenswerte Ziele, wie lebt man Barmherzigkeit, wo Gnade gebraucht wird? Wo fällt man und warum? Was ist mit denen, die immer wieder stolpern? Ich persönlich halte das Gemeindemodell einer Großfamilie für sehr herausfordernd, aber extrem nötig. 

Siebtens: Trauung ist für mich kein anonymes Ritual

Ich persönlich habe mich entschieden, nur Paare zu trauen, die ich persönlich kenne. Ich sehe keinen Sinn darin, irgendeine Zeremonie für unbekannte Fremde abzuhalten, das können andere Kirchen besser als ich. Sollte mich also je ein unbekanntes (homosexuelles) Paar bitten, sie zu trauen, dann wäre das meine erste Antwort. Sollte mich ein gut bekanntes Paar bitten, liegt offenbar eine Beziehung und Vertrauen vor. Sollte dies ein homosexuelles Paar sein, haben sie schon längst mitbekommen, dass ich sie mag und ihnen wohlgesonnen bin. Und sie werden mich mögen und mir wohlgesonnen sein, sonst hätten sie mich nicht gebeten. Auf dieser Basis werde ich erklären können, dass ich gerne zur Hochzeit komme und teilnehme, man es mir aber bitte nachsehen möge, dass ich diese Trauung leider nicht mit meinem Innersten vereinbaren und daher nicht durchführen kann. Hier geht es nämlich nicht um Positionen, sondern um wahre Freundschaft, wahres Vertrauen und wahre Toleranz (keine fundamentalistische Toleranz). Und ich glaube fest daran, dass das möglich ist.

Achtens: Die staatliche Ehe überdenken

Dieser Gedanke mag dem preußischen Gehorsam vielleicht zuwider sein und treue Christen mögen ebenfalls stutzig werden, aber seit einigen Jahren muss ich mich einfach immer wieder fragen, was eigentlich Sinn und Zweck der staatlichen Ehe ist. Hintergrund dieser Frage ist, dass Ehe gegenwärtig nur für Homosexuelle immer wichtiger zu werden scheint, für Heterosexuelle wird sie gleichzeitig immer unwichtiger. In einigen Ländern bringt der Gang zum Standesamt null Komma nix steuerliche Veränderung. In Schweden z.B. gibt es obendrein rechtliche Grundlagen, die Nichtverheiratete, aber fest Zusammenlebende auf fast gleiche Stufe stellen wie verheiratete Paare. Was bleibt da bitte schön übrig von der Idee einer staatlich abgesegneten, ehelichen Lebensgemeinschaft als “christlichem” Wert? So. Folgerichtig frage ich mich, warum wir Christen uns so aufregen, dass die Regierungen der Welt nicht mehr nach unseren Werten handeln – eigentlich sollten wir doch diejenigen sein, die unsere eigenen, biblischen Werte formen und ausleben, und nicht der Staat. Sind wir Christen etwa vom Staat abhängig?! Nein. Ganz im Gegenteil, wir repräsentieren jenen Einen, von dem alles abhängig ist – selbst die Obrigkeit erhält ihre Macht von Ihm. Neutestamentlich gesehen ist der Staat = Rom, und Rom ist korrupt. Jesus ist Herr und nicht der Staat. In Zukunft, wenn das geschichtliche Zusammenspiel aus Kirche und Staat immer weiter zerbröseln wird, sollten wir uns durchaus zu gegebenem Zeitpunkt die Freiheit herausnehmen, unsere eigene Ehe in den Gemeinden zu formulieren, die sowohl Gottes Liebe und Treue, Gottes Maßstäbe als auch Gottes Gnade reflektiert. Wie gesagt, das mag sich erstmal allem entgegenstemmen, was wir als “der Obrigkeit untertan” verstehen, doch als Königskinder und Vertreter eines Reiches in dieser Welt doch nicht von dieser Welt haben wir alle Freiheiten zum Formen einer eigenen, neuen Ehekultur.

Neuntens: Sex ist keine Nebensache

Sexualität als schönste Nebensache der Welt zu benennen, schafft ein verzerrtes Bild, dem wir nie gerecht werden. Im ersten Teil dieser Serie habe ich nur einige kleine Hinweise gegeben, die zeigen, welch große Rolle unsere Sexualität in der Ganzheit des Lebens spielt. Dass die Kirche diese Rolle zu vielen Zeiten massiv heruntergespielt hat, führte über die Jahrhunderte zu einem verkorkten und vergorenen Druck, der sich nun entlädt. Jetzt knallen die Korken und wir stehen da mit offenem Mund und wissen nicht mehr, was wir sagen sollen. Was können wir tun? Wir sollten einfach damit beginnen indem wir ehrlich anerkennen, dass Sexualität eine Kraft ist, die kaum gebändigt werden kann, allen Moralbüchern und -aposteln zum Trotz. Ich erinnere mich sehr gut, wie ich damals im IGNIS-Seelsorgekurs in der Baptistengemeinde Augsburg saß und es ein ganzes Wochenende um Sex ging. Hier öffneten sich plötzlich ganze Tore für mich, indem ich Christen hörte, die ganz natürlich über Sex redeten und Wörter wie Bibel und Busen in einem Satz nennen konnten. Für mich (und viele andere auch, wie ich weiß), war dieses Wochenende eine Befreiung und der Beginn einer Entdeckungsreise in wunderbare Einsichten, die mir bis dahin verschwiegen worden sind. Ich wünsche mir, dass jeder Christ, jeder Mensch Möglichkeit zu dieser befreienden Entdeckungsreise bekommt.

Zehntens: Sex ist eine zutiefst geistliche Angelegenheit

Last not least: Von allen Puzzelsteinen des Lebens liegen Sex und Glauben direkt beieinander. Ich hatte das schon immer verdächtigt, wenn ich beobachtete, welch große Rolle Sex in anderen Religionen und Kulten spielt. Von Christen bekam ich immer nur dieselbe Antwort ungefähr so: “Das sind ja auch Heiden, was will man erwarten! Wir aber sind Christen und heilig und tun so etwas nicht und deshalb sollten die Heiden auch bekehrt werden.” So weit so gut – doch ich konnte verstehen, warum manche lieber Heiden als Christen sein wollten. Warum haben viele Rituale mit Sex zu tun (oder zumindest eine Anspielung darauf), warum sind schwarze Messen manchmal die reinsten Orgien?! Könnte es sein, dass der Teufel uns hier schon wieder eine Lüge vormacht, indem er uns einredet, Sex habe nichts mit Gott und Gott habe nichts mit Sex zu tun?

Geahnt habe ich solches also schon lange. Seit einigen Jahren treffe ich durch unsere Arbeit mit CA immer wieder Debra und Alan Hirsch. Die beiden haben sehr viel Gemeindeerfahrung mit allen möglichen “verdrehten” Gestalten. Vor allem Debra hat mir geholfen zu verstehen, dass Gott den Sex geschaffen hat und warum Glaube und Sexualität so stark zusammenhängen. Es ist ein komplexer Zusammenhang, aber wer ihn einmal zu verstehen beginnt, begibt sich auf die gleiche wunderbare Überfahrt, die in meinem Fall bei IGNIS in Augsburg ablegte. Als Schlussfolgerung möchte ich nur andeuten, dass wir Christen eine Menge Hausaufgaben noch nicht gemacht haben.

Zum guten Schluss

Ich kann gar nicht alles im Einzelnen wiedergeben, was ich so denke und herausfinde. Doch ich muss herausstreichen, dass Christen und Gemeinden sich DRINGEND besser und mehr und ehrlicher und theologischer mit diesem Thema auseinandersetzen MÜSSEN. Wir müssen MEHR zum Thema Nr. 1 unserer Zeit zu sagen haben als unser winziges Repertoire bislang hergibt.

Aus diesem Grund habe ich die Serie geschrieben. Es soll ein kleiner Beitrag sein, der zum Nach- und Weiterdenken anregt. Wahrscheinlich ist mein Beitrag wie überhaupt der ganze Blog nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch in meiner Theologie können fünf Brote und zwei Fische tausende von Menschen sättigen.

Author

marcusis@icloud.com

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