Knapp drei Wochen nachdem ich das Geschenk des Chefs erhalten hatte, stand der gelbrote Karton immer noch ungeöffnet auf der Küchenbank, während ich nebenan den letzten Blogpost vor der Sommerpause schrieb und mich auf gute zwei Wochen Nichtstun, Schlafen, Lesen, Filme sehen freute. Die Pause war überfällig und nötig. Nach wenigen Tagen Ausspannen würden – wie auch sonst immer – neue Ideen wieder keimen, die kreativen Säfte zurückkehren.
Doch nicht in diesem Juli.
Ohne, dass ich je den Befehl dazu gegeben hätte, ging mein Körper auf Abschaltautomatik. Jeden Tag schien irgendein neues System herunterzufahren. Dinge, von denen ich gar nicht wusste, dass sie existieren, weil sie seit Kindertagen zuverlässig funktionierten. Manches schätzt man erst, nachdem es weg, aus, vorbei ist.
Wie zum Beispiel mein Bauchgefühl. Es war weg. Abgeschaltet, weggelaufen, verstorben, wie sollte ich denn wissen, wo es jetzt war?! Ich wusste nur, dass plötzlich nicht mehr da war, was mich fünf Jahrzehnte zuverlässig geleitet hatte.
Loch im Bauch.
Undicht.
Leer.
Ohne Bauchgefühl war ich wie eine Fledermaus ohne Stimme, ein Wal ohne Orientierung, ein Zugvogel ohne Wissen der Himmelsrichtungen. Hätte Nils Holgersson die Wildgans Akka gefragt, woher sie eigentlich weiß, wohin sie fliegen muss, hätte sie geantwortet, was für eine dumme Frage, das wissen wir Gänse einfach. Punkt.
Manches weiß man einfach und manches kann man einfach. Punkt.
Dafür sah ich viel klarer, warum es Gabe heißt. Es wurde den Wildgänsen, Walen, Fledermäusen und manchen Bäuchen einfach gegeben. Niemand hat seine Gaben auf Amazon angeklickt.
Ohne Bauchgefühl konnte ich kein Dickkopf mehr sein, denn woher sollte man jetzt noch wissen, welches die richtigen Ziele sind, wie man den Sturm umfliegt, Seitenwind korrigiert, welche Kämpfe, Strategien, Diplomatien den Aufwand überhaupt wert sind? Vielleicht ist ja alles sinnlos! Winter is coming, doch was, wenn ich als Kranich an der Spitze nicht mehr klar nach Süden ziehe sondern nach ost-nord-west-süd-nordost flattere?
Kein Gefühl zu haben war ein scheiß Gefühl.
Fortsetzung folgt.