Vor 18 Jahren begann mein Theologiestudium als Folge einer langen Serie unerwarteter Ereignisse. Plötzlich war ich als 33-jähriger dreifacher Familienvater und bayerischer Dorfbewohner offiziell Student einer US-amerikanischen Universität geworden. Spannend für einen, der Kontraste mag.
Auch wenn ich in meinem ersten Kurs wohl eher Englisch als Ethik lernte, genoss ich die Andersartigkeit. Allein die Bibel auf Englisch zu lesen fühlte sich an, als hörte ich die Geschichten zum allerersten Mal. Man sieht, wächst, versteht, fragt, wundert sich. Seit 18 Jahren lerne und arbeite ich mit vielen Amerikanern. Ist mein dadurch heute etwas amerikanisch gefärbter Glaube nun volljährig geworden?
Ich sehe nach wie vor viele Stärken der amerikanischen Kultur. Der unternehmerische Optimismus, die Leichtigkeit, über Spiritualität zu reden, der Spaßfaktor oder allein das Wort commitment sind nur einige positive Beispiele, die uns in Europa eher abgehen. Deswegen halte ich das internationale Zusammenarbeiten von Amerikanern und Europäern für eine optimale Ergänzung. Aber man muss – wie immer – differenzieren können.
Der amerikanische Unternehmergeist ist sehr gut, führt aber auch dazu, dass Gemeinde und Business leicht verwechselt wird. Das amerikanische Entertainment ist eine lustige Sache, führt aber auch dazu, dass Gemeinde und Show kaum zu unterscheiden ist. Beides kann sehr schön am Beispiel Willow-Creek gesehen werden, wo gerade diese beiden amerikanische Stärken, gepaart mit Erfolg, europäische Bedürnisse zum Schwingen brachten. Europäische Gemeindeleiter, meist unerfahren in Showbusiness und Unternehmenskultur und daher außerstande zu differenzieren, begannen Willow bloß zu kopieren, versuchten ihre Gemeinden wie Kleinunternehmen hochzuziehen und ihre Gottesdienste als Vorstellungen zu vermarkten. Interessanterweise wurden nicht Amis, sondern Australier Nutznießer der Entwicklung: Der Gemeinde-Frenchiser Hillsong bildet den bislang unerreichten Höhepunkt frommer Business-Show-Kultur.
Obwohl es ja eine wachsende Amerikakritik gibt – und vieles zu Recht kritisiert wird – so muss man auch wissen, dass die meisten Amis es nicht böse meinen. Sie sind einfach kulturelle Frühchen, die USA sind so jung, dass sie als Land noch keine kulturelle Volljährigkeit erreicht haben und daher ausschließlich mit sich selbst beschäftigt sind. Die Fähigkeit, andere Kulturen zu sehen, wahrzunehmen und deren Wert zu schätzen, entwickelt sich oft erst nach der Geschlechtsreife, und kein US-Präsident hätte eine pubertierende Gesellschaft besser repräsentieren können als der gegenwärtige. Teenager brauchen besonders viel Geduld und Liebe, und die kann nur von reifen Erwachsenen gegeben werden.
Das ist der Grund, warum ich meinen Weg weiter gehe, auch wenn mich reiche Halbwüchsige manchmal zur Weißglut bringen können. Ich denke, nach 18 Jahren amerikanischer Gemeinschaft kenne sowohl amerikanische als auch europäische Frömmigkeit gut genug, um beiden helfen zu können, einander besser zu verstehen. Denn gemeinsam könnten wir richtig stark sein.