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Die wievielte Coronawoche ist es eigentlich? Ich zähle weder Wochen noch Tage, und das mag auch der Grund zu diesem Blogpost sein: Warum lässt mich diese Pandemie innerlich so kalt? Warum ist sie mir emotional so egal wie ein umgefallener Getreidesack am anderen Ende der Erde?

Dabei ist es nicht so, als würde uns die Krankheit nichts angehen. Meine Frau muss täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Job auf einer Intensiv, damit sind wir einem deutlich höheren Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Es ist auch nicht so, als interessierte es mich nicht. Mehrmals täglich gehe ich kurz auf die offizielle Homepage der Johns-Hopkins-Universität und prüfe die aktuellen Zahlen und Kurven einiger Länder, zusätzlich lese ich regelmäßig Artikel in Dagens Nyheter, Süddeutsche Zeitung, New-York-Times oder Nature. Außerdem rückt die Krankheit näher. Ich musste schon mehreren persönlichen Bekannten kondolieren, die plötzlich Vater oder Mutter an Covid-19 verloren haben, obendrein bekomme ich immer wieder Gebetsanliegen von besorgten Betroffenen. Und dennoch schlafe ich so gut wie immer, lache, koche, arbeite – sogar deutlich mehr als sonst. Mein Geist, meine Seele, sie bleiben völlig beherrscht, gefasst, ruhig, unbeteiligt. Bin ich etwa kaltblütig?

Doch dann las ich Jürgen Habermas’ jüngste Aussage über die Pandemie:


“Eines kann man sagen: So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie.”

Jürgen Habermas

Pang, den Nagel voll auf den Kopf getroffen! Genau! Das ist es! Plötzlich wird der Welt bewusst, wie wenig wir eigentlich wissen, wie unsicher das Leben ist. Jeder Tag wird zum Experiment, und niemand kann sagen, was die Zukunft bringt. Viele vermeintliche Sicherheiten scheinen gerade zu verdampfen. Und dafür haben wir kein Vokabular, keine Phrasen. Wir ringen nach Worten.


Das kenn’ ich seit 15 Jahren.


Plötzlich merke ich: Das habe ich doch alles schon seit 15 Jahren! Das ist sozusagen mein tägliches Leben, mein gefühlter Alltag, und zwar ganz besonders seit unserem Umzug ins Ausland. Ich hatte keine Sprache, um mich adäquat auszudrücken, und wer mit 40 anfängt, eine neue Sprache zu lernen, kommt nie auf das sichere Niveau eines Muttersprachlers. Social Distancing wie es jetzt gerade praktiziert wird gab es nach unserem Umzug zwar nicht, dennoch lebten wir in einem Land ohne Freunde und Familie und waren sozial genauso isoliert – es gab noch nicht mal soziale Medien. Wir hatten Null Garantie, ob das Experiment Ausland gutgehen würde, wussten auch nicht, was es den Kindern, der ganzen Familie antun würde. Und wer auf Spendenbasis lebt, hat obendrein auch wenig Sicherheiten. Für mich wurde es völlig normal, immer wieder mal den Angstschweiß von der Stirn tupfen zu müssen, weil man gerade nicht weiß, wie man seine Miete oder Stromrechnungen bezahlen soll. Hat das denn nicht jeder?!

Ich bin also doch nicht kaltblütig, denn auch mich hat das alles ganz gewaltig gestresst. Heute habe ich deswegen das unerwartete Vorrecht, alle anderen recht herzlich in meiner Welt willkommen heißen zu dürfen! Als Fortgeschrittener spreche ich daher den Neulingen im Lande des Nichtwissens und der Unsicherheit Mut und Zuversicht zu:

Macht euch nicht zu viele Sorgen. Vertraut auf Gott und gebt nicht auf. Und habt Geduld. Nach zehn Jahren schon hat man begonnen, sich daran zu gewöhnen.

Author

marcusis@icloud.com

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