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Der vergangene Blogpost enthält eine Menge Insidersprache. Für alle, denen die englische Version zu anstrengend ist, hier eine deutsche Übertragung: Am vergangenen Montag habe ich meine Rolle als Europadirektor freiwillig zur Verfügung gestellt. Kurz gesagt ist mein Hauptgrund zu dieser Entscheidung derselbe, warum wir 2005 bei CA angefangen haben.

Communitas’ Entstehung

Die Fotos dieser beiden Blogposts bieten einen Blick auf Genf, wo Communitas unter einem anderen Namen in den 1960-er Jahren seinen Anfang nahm. Eine Reihe junger, kalifornischer Studenten hatte da schon erkannt, dass Europa in der Nachkriegszeit immer säkularer wurde: Mehr und mehr, vor allem junge Menschen, wandten Kirchen und Gemeinden den Rücken zu. Neue und ungewöhnliche Wege wollten sie probieren, um junge Europäer wieder neu auf Jesus neugierig zu machen. Sie kamen auf die Idee, Bibel und Basketball zu verbinden. Mit Kurzzeiteinsätzen begannen sie in Genf, einer Stadt, die schon damals Europas Vielfalt repräsentierte sowie recht international und damit englischsprachig war. Lange Sprachkurse konnte man so vermeiden.

Die Rechnung ging auf, es kamen tatsächlich viele zum Glauben. Bevor die Kalifornier wieder zurück in ihre Heimat wollten, versuchten sie, die Neubekehrten an die bestehenden Kirchen Genfs zu vermitteln. Dieser Plan ging nicht auf, denn die Reaktionen waren eindeutig: “Ihr seid cool. Jesus ist cool. Wir gehen doch nicht in diese alten Kirchen zurück, von denen wir uns bewusst verabschiedet haben!” Und so begann mit Crossroads Geneva Communitas Geschichte, neue Gemeinden für neue Gläubige in Europa zu starten.

Warum wir mitmachten

Der Geist des Neuen, Ungewöhnlichen, um Menschen neu auf Jesus neugierig zu machen, hat die Organisation über Jahrzehnte geprägt. Obwohl man lange in der Gründung von nur englischsprachigen Gemeinden steckenblieb, war man immer versucht, neu zu lernen, Kultur zu verstehen, ungewöhnliche Wege zu probieren, “das Evangelium” relevant zu halten. Aus genau diesem Grund stieß ich mit meiner Familie 2005 dazu. Unser Projekt H2O wurde eins der ersten, das in einer Landessprache gestartet wurde, ebenfalls völlig ohne Schema F: Jeder einzelne Schritt wurde sorgfältig für den hiesigen Kontext maßgeschneidert, und Communitas bot eine Gemeinschaft, die genau das ermöglichte.

Internationale Leitungsrolle

Einige Jahre später war Communitas in vier Regionen gewachsen, Ost- und Westeuropa, Nord- und Südamerika mit jeweils einem leitenden Direktor. Ich wurde ich in die Rolle des Westeuropadirektors gerufen, die Region mit der längsten Geschichte der Organisation. Für mich bedeutete es, meine Arbeit als Missionar in ähnlicher Form fortzusetzen, nur auf internationalem Level – eine Art höhere Form der Gemeindegründung: Wie muss Jüngerschaft in ganz Europa aussehen (nicht nur in diesem Stadtteil)? Wo stecken die Möglichkeiten Europas? Wie helfen wir Europäer uns gegenseitig, in den jeweiligen Ländern und Gegenden maßgeschneiderte Gemeinden zu bauen, die nicht nur Nachahmer, sondern vor allem reife Nachfolger hervorbringen? Welche theologischen Fragen sind gerade relevant und welche Antworten geben wir? Welche kreativen Ausdrucksformen gibt es und wie inspirieren und korrigieren wir uns gegenseitig? Die Welt durchläuft gewaltige Veränderungen, Gemeindegründer und Missionare fühlen sich auf europäischem Boden oft besonders einsam und ausgesetzt. Der Enthusiasmus, mit dem ich diese Aufgabe übernahm, spiegelt sich in einem Filmchen wieder, das ich damals herumschickte.

Die Schwierigkeiten

… begannen zwei Jahre später. Mein Team und ich, das sogenannte FEAST*, war voller Energie und gerade erst so richtig in Schwung geraten. Denn Veränderung braucht Zeit und Geduld, die Veränderung einer Organisation braucht noch mehr davon, und die Veränderung einer christlichen Organisation braucht ganz besonders viel Geduld. Als FEAST waren wir überzeugt, unsere Vergangenheit und Zukunft gut analysiert und einen guten und richtigen Kurs eingeschlagen zu haben, um unsere Arbeit an das Europa des 21. Jahrhunderts anzupassen. Doch plötzlich und unerwartet wurde mir von höchster Stelle und durch die Blume offenbart, dass Communitas mit “Direktor” eigentlich niemanden meint, der Direktion, also Richtung vorgibt. Im Prinzip wollte man nur einen Europaverwalter. Wir sollten gerne gute Vorschläge geben, uns sonst aber im Hintergrund halten. Das war ein gewaltiger Schuss vor den Bug des FEASTs. Leider konnte aber niemand erklären, wer uns in allen Veränderungen die Richtung vorgeben würde. Es gab wohl verschiedenste Leitungsteams, die alle irgendwie zusammenspielen sollten, aber niemand wusste, wie dieses Zusammenspiel gedacht war und wer im Einzelnen für was verantwortlich war. Als FEAST hatten wir uns ursprünglich für Westeuropa verantwortlich gesehen, das war die logischste Schlussfolgerung, stattdessen fanden wir uns plötzlich in einem internationalen Leitungslabyrinth wieder. Für jede Organisation, egal ob fromm oder weltlich, sind lange organisatorische Rätselspiele lähmendes Gift.

Hinzu kam, dass natürlich immer wieder irgendwelche Entscheidungen getroffen werden mussten und auch wurden – von wem, das blieb meist unklar. Wir beobachteten nur, dass jene(r) Entscheidungsträger wenig internationale bzw. europäische Erfahrung haben konnte(n). Diese Unklarheiten haben mich über die Jahre viele Nerven und der Organisation so manche Koryphäe gekostet, weil uns tröpfchenweise immer mehr verließen. Ein Präsident seilte sich Hals über Kopf im Winter 2017 ab und leitet nun lieber ein Freizeitheim. Die allgemeine Unsicherheit wurde damit nicht kleiner und bis heute weiß niemand, wo genau die Ursache dazu liegt.

Zu guter letzt schien es sich immer weniger um Mission und immer mehr um Administration zu drehen, immer weniger um neue missionale Ideen als um neue Strukturen. Klare Strukturen waren bei der genannten Verwirrung zwar dringend nötig, doch Strukturen müssen der Vision dienen, nicht umgekehrt. Uns kam es vor, als verlören wir immer mehr den Fokus darauf, neue Menschen auf Jesus neugierig zu machen und das in einer Welt, die nichts dringender als Rettung und Orientierung braucht. Ich fühlte mich zunehmend wie eine einsame Stimme in der Wüste, und die Kombination all dieser Schwierigkeiten machte mich über die Jahre buchstäblich fertig.

Good Bye Europe Director

2019 beantragte ich ein Sabbatical, um meiner Seele die Möglichkeit zu geben, neue Wurzeln zu schlagen und sich wieder auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist. Ich ging davon aus, danach wieder als Europadirektor zurückzukehren, allerdings mit Veränderungen und Bedingungen. Eine davon wäre Klarheit über das Zusammenspiel der Leitungsteams. Vergangenen Montag wurde aber nun deutlich, dass uns diese Klarheit noch länger verwehrt bleiben wird. Zu meinem eigenen Wohl und hoffentlich zum Nutzen der Europamission habe ich mich daher als “Direktor” bzw. Verwalter verabschiedet.

Vielleicht klingt es paradox, doch ich tue das in großer Dankbarkeit und Ehrfurcht. Seit 2016 habe ich bewusst gewählt, den Job nicht einfach im Frust hinzuschmeißen, sondern stattdessen daran zu wachsen, zu reifen und besser zu werden. Es ist wichtig, auch anderen Fehler zu erlauben und zu lernen, und das braucht Zeit und Geduld. Außerdem konnte ich nur so erleben, wie sehr mir das internationale Arbeiten, Denken, Lernen, Leiten, Reisen, das visionäre Voranschreiten taugt. Glokale Mission, Theologie und Kreativität auf europäischem Level, nichts hat mich so begeistert, gefördert und gefordert wie das alles. Für diese Art der Arbeit scheine ich geboren zu sein, sie bereitet mir unglaublich viel Freude. Allerdings brauche ich Ziele. Bei Communitas hat sich in vier Jahren nicht viel getan, nun musste ich aus dem Kreis aussteigen. In tiefster Seele werde ich aber immer auf einem internationalen Weg bleiben, wenn auch vorläufig ohne formelle Stellung. Doch so lange Gott mich nicht umzieht, bleibe ich auf dem Weg, auf den Er mich gestellt hat.

Was ändert sich?

Erstmal gar nicht so viel, eigentlich. Ich bleibe ganz normaler, also regionaler Mitarbeiter bei Communitas. Ich bleibe bei ALT wie schon seit 11 Jahren, diese Aufgabe fordert mich akademisch. Ich bleibe bei Tro&Tvivel, diese Aufgabe fordert mich praktisch. Ich bleibe vorerst in informellem Kontakt und im Gespräch mit dem FEAST und freue mich über die aufmunternden Stimmen vieler Kollegen, auch weiterhin international aktiv zu bleiben. Außerdem bleibe ich stets wachsam und aufmerksam, ständig auf der Hut, keine Möglichkeit zu verpassen. Meine Erfahrung, Gaben, Fähigkeiten und mein Denken, all das ist und bleibt international, missional, theologisch, und kreativ, und genau das mag mein persönlicher Beitrag zum Reiche Gottes während dieser letzten Phase meines Dienstes sein, wo auch immer er gefragt und gebraucht sein sollte.

Die Kreativität hat in den letzten Jahren allerdings durch den vielen Frust zu sehr gelitten. Deshalb möchte ich einen Teil meiner neu gewonnenen Zeit wieder in mehr kreative Projekte stecken.

Gute Kunst ist schließlich (auch) eine Form der Prophetie.


* – FEAST = Fellowship of the European Advancement and Support Team

Author

marcusis@icloud.com

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