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Wahlkampf war schon immer ein Gesellschaftsgenre für sich, das sich schwer vergleichen lässt. Außer mit einer lehrerlosen Schule vielleicht, wo einige Schüler alle anderen davon überzeugen wollen, warum sie ab sofort die besseren Lehrer seien. Manchmal kann so was interessant sein, doch in der Regel hat dieses mehrwöchige Herumgebuhle eher einen Hang zum Peinlichen. Nach Gründen zum Fremdschämen muss man selten lange suchen.

In meinem Heimatland Deutschland fiel es mir relativ leicht, das alles hinzunehmen und irgendwie einsortieren zu können. Im Ausland ist jedoch alles anders, plötzlich ist nichts mehr selbstverständlich – gerade all die zahllosen Kleinigkeiten des Alltages, über die man vorher nie nachgedacht hatte. Deshalb habe ich während meiner ersten Jahre in Schweden entschieden, hiesigen Wahlkämpfen keine große Beachtung zu schenken. Erstens durfte ich sowieso nicht wählen, zweitens war der Rest des Alltages schon anstrengend genug. Doch das ändert sich nun. Nach der letzten Reichstagswahl 2018 habe ich die schwedische Staatsbürgerschaft beantragt, um in der Wahl 2022 meine Stimme geben zu dürfen.

Leider liegt mein Antrag immer noch unbearbeitet bei den Behörden. Ich werde 2022 wieder nicht wählen dürfen. Also nehme ich es als Generalprobe und studiere, wem ich denn wohl meine Stimme gäbe, wenn man mich ließe. Wie auch vor der letzten Bundestagswahl (an der man mich noch teilnehmen lässt) schmökere ich durch Parteiprogramme, verfolge die Nachrichten aufmerksam, lasse mich von Wahlomaten beraten. Und befürchte, dass meine Stirnrunzeln nach der Wahl ein bisschen tiefer geworden sein werden.

Europa erlebt die schlimmste Dürre seit 500 Jahren, es sind enorme Flächen Wald verbrannt, ebenso enorme Waldflächen sind abgestorben. Es tobt ein Krieg. Und so weiter. Mit anderen Worten: Wir befinden uns in einer wirklich ernsten globalen Krise. Einer langfristig lebensbedrohlichen Krise. Doch was findet man auf den Wahlplakaten: “Jedem Schweden seinen Hausarzt”, “eine neue Regierung”, “für unser schönes Göteborg” und ähnliche Wichtigkeiten. Dass die Klimakrise in sämtlichen Parteiprogrammen Schwedens kaum Relevanz hat, hatte ich letzte Woche schon erwähnt. Mir wird mehr und mehr bewusst, wie erschreckend wenig Menschen der Ernst der Lage wirklich bewusst ist. Und unsere Politiker wollen da natürlich keine Stimme verspielen. Wenn wir aber alle so weitermachen und uns immer nur um uns selbst drehen, wenn die Politik unser eigenes flaches Denken und lächerliches Verhalten widerspiegeln muss, um uns überhaupt “leiten” zu können, dann wird der derzeit noch recht gute Grund zur Hoffnung bald zu einem erschreckend kleinen Fünkchen schrumpfen.

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marcusis@icloud.com

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