Der Mensch verhärtet mit der Zeit. Die Haut wird ledrig, die Gelenke steifer. Man sehe sich nur mal in einem gewöhnlichen Altenheim um. Gegen vieles kann man vorbeugend sehr viel tun. Gegen anderes, Arthrose zum Beispiel, nicht so viel. Aber nicht nur der Körper, auch der Geist ist betroffen. Wir alle haben schon Alte getroffen, deren Denkmuster sehr, sehr tief eingefahren waren – und manchmal sind diese Alten körperlich sogar noch erstaunlich jung! Dann wiederum gibt es 90-Jährige, die noch beachtlich fit im Kopf sind, lernfähig, offen und flexibel im Denken. Denn auch gegen Hirnverknöcherung kann man vorbeugend eine Menge tun. Vorausgesetzt natürlich, man fängt rechtzeitig an. Wer 80 ist und erst jetzt mit Gymnastik beginnt, darf keine Goldmedaillen mehr erwarten. Ich sage immer: Es gibt nur einen Grund, als junger Mensch weder Rolltreppen noch Fahrstühle zu benutzen – damit’s im Alter ‘ne Gewohnheit ist.
Sich stets neugierig und vielseitig interessiert zu zeigen, ist eine entscheidende Voraussetzung. Ich war mal Teil einer Gemeindeleitung und schlug vor, als Gemeindeleitung doch mal einen Studienbesuch bei der örtlichen Feuerwehr zu planen oder beim nächsten Großflughafen. Ist leider nie was geworden, warum auch immer, vielleicht, weil es einfach zu fremd war für eine Gemeindeleitung. Einfacher ist es natürlich, z.B. im Zeitschriftenhandel immer wieder mal ein Magazin zu kaufen, das einen eigentlich gar nicht so sehr interessiert. Ob Waffen sammeln, Miniaturwelten, Businessmagazine, Psychologie, Männerzeitschriften, Frauenzeitschriften, Off-Road, Blumen, völlig egal, Hauptsache irgendwas. Denn alles schafft irgendwelche neuen Verknüpfungen im Hirn. Kreuzworträtsel und Sudoku helfen da nicht besonders, weil es viel zu spezifisch ist und keine übergreifende Areale aktiviert. Ein Instrument spielen oder spielen zu lernen hilft hingegen extrem. Reisen hilft auch sehr. Oder der regelmäßige Besuch im Flüchtlingsheim. Anderen Kulturen mit Neugier begegnen, ist eine sehr große Herausforderung – und ein Segen für unser Gehirn.
Dazu gehört auch das Sprachstudium. Mehrsprachigkeit ist sogar in vieler Hinsicht wertvoll. Man trainiert nicht nur seine Weltoffenheit, sondern u.a. auch das Gedächtnis und die Fähigkeit, gewisse Teile des Gehirns vorübergehend abschalten zu können – nämlich z.B. den deutsch denkenden Teil, wenn man gerade spanisch spricht. Sprachen machen unser Denken flexibler, weil sie nachweislich unser Gehirn flexibler machen.
Für mich war schon immer klar, gerne noch eine weitere Fremdsprache lernen zu wollen, sobald ich das Gefühl habe, schwedisch auf höchstmöglichem Niveau zu beherrschen (d.h. so weit man kommen kann, wenn man eine Sprache erst mit 40 angefangen hat). Arabisch, französisch, italienisch und spanisch standen zur Auswahl. Von all diesen Sprachen ist es letztes Jahr dann isländisch geworden. Jeder, der das hört, runzelt die Stirn (also alle, außer Isländer): Was, wieso das denn?! Nun, erstens habe ich große Hochachtung vor allen Bibelübersetzern, die eine ganze Sprache für noch viel, viel kleinere Volksgruppen studiert haben, dagegen ist isländisch eine Weltsprache. Zweitens geht es mir vor allem darum, meine Weltoffenheit durch Hirngymnastik zu trainieren, da wäre jede Sprache recht gewesen. Drittens ist isländisch eine Art Urnordisch, ungefähr so haben die Wikinger vor über 1000 Jahren im Norden gesprochen – ein bisschen also wie Latein und italienisch, nur, dass es heute immer noch fast so wie früher gesprochen wird, weil es sich auf der Insel kaum weiterentwickelt hat. Und viertens und letztens möchte ich aus genau diesem Grund gerne die Werke Edda und Völuspá in ihrer Originalsprache lesen können, um die nordische Geschichte besser zu verstehen. Vor allem aber, um den Teil Ragnarök sowohl mit der Offenbarung als auch dem Klimawandel zu vergleichen. Das ist halt meine Art, neue Verknüpfungen im Hirn zu bilden und sie sinnvoll mit meinem Glauben an Jesus zu verbinden.
Generell habe ich schon lange das Gefühl, das Jesus der beste denkbare Hirntrainer ist. (Wenn er der Erfinder des Gehirns ist, wird er schon wissen, wie man damit umzugehen hat.) Ständig fordert er uns heraus, mit Ungewohntem fertigzuwerden. So oft setzt er uns anstrengende Menschen in den Weg. Immer wieder führt er uns auf Wegen, die wir selbst niemals gewählt hätten – auf denen wir aber dennoch enorm wachsen und reifen. Jene Menschen, die wirklich lernen, daran zu wachsen und zu reifen, entwickeln sich meist zu solchen Alten, in deren Gegenwart man sich gerne aufhalten mag. Keine bittren Prediger. Keine bissigen Besserwisser. Sondern neugierige Zuhörer, die versuchen, die Widersprüche des Lebens hinzunehmen, ohne auf Schuldige zu zeigen. Die sich nicht scheuen, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen, aber in Barmherzigkeit, oft auch noch humorvoll verpackt. Ich gebe zu, es ist nicht leicht, dorthin zu kommen. Das Hirn muss so manch schmerzhafte Übung aushalten können. Es kostet Zeit, Geld, Disziplin und Willen. Doch meiner Meinung nach ist es das wert. Jedenfalls, wenn man auch als runzeliger Alter am Stock einen fitten Geist behalten will. So glatt, so weich, so geschmeidig wie ein Babypopo.