Herzlichen Dank an alle, die mit so großem Interesse, mit Geschichten, Beiträgen, persönlichen Gesprächen oder E-Mails auf unser vergangenes Video reagiert haben. Ihr seid wirklich eine große Aufmunterung! (Wer den Clip noch nicht gesehen hat, aber neugierig wird, findet hier den Link.) Ein Gedanke bzw. eine Frage, die manchmal durchschien, könnte so formuliert werden:
”Könnt ihr euch eigentlich vorstellen, zurück nach Deutschland zu kommen?”
Eine wichtige Frage, die uns über die Jahre immer wieder beschäftigt.
Unser Umzug aus Hitzhofen im Sommer 2006
Zunächst müssen wir in Erinnerung rufen, wie unerwartet die Berufung nach Schweden 2006 für unsere ursprüngliche Lebensplanung war. Vor allem aber überdeutlich: eine Verkettung vieler großer und kleiner ”Zufälle”, Begegnungen, Ereignisse, die zusammen ein Wunder Gottes wurden. Immer wieder kam es uns eher so vor, nach Göteborg gezogen zu werden, statt selbst dorthin zu ziehen. Damals dachten viele (inklusive uns selbst), diese Wunderreise würde ebenso so wundersam fortsetzen – in Form von vielen neuen, interessanten Gemeinden, großen wie kleinen, vielleicht tausend Taufen und noch mehr. Heute wissen wir (aus eigener Erfahrung, aber auch aus der Missionsgeschichte), dass es wahrscheinlich eine schwierige Reise werden wird, wenn Gott überdeutlich ruft. Später wird man nämlich die Erinnerung an diese Deutlichkeit brauchen. Dann, wenn die Zweifel kommen.
Vom Dorf auf dem Land in eine völlig andere Welt…
Trotzdem haben wir zweitens immer daran festgehalten, offen für örtliche Veränderungen zu bleiben. Einmal sah es z.B. so aus, als würde sich ein Ruf für eine Pionierarbeit in der Nähe Neapels auftun. Ein anderes Mal waren wir zu Gesprächen über einen möglichen leitenden Dienst bei Open Doors Norge in Bergen. Wir haben solche potentiellen Berufungen immer geprüft, doch bisher haben sie sich nicht bestätigt. Außerdem war es irgendwie auch immer logisch, dass Gott mindestens so deutlich wie 2006 werden müsste, sollte er uns hier wieder weg haben wollen. Auch das war bisher nicht der Fall.
Ein fertiges Gemeindehaus wartet bei Neapel seit Jahrzehnten leer und ungenutzt auf einen Gemeindegründer und Pastor
– inklusive großem Wohnhaus und Fußballplatz.
Drittens möchte ich, Marcus, eine kurze Geschichte erzählen, die einen weiteren, wichtigen Punkt verdeutlicht.
Neulich erklärte mir nämlich ein Mann eine etwas merkwürdige Verhaltensweise der Menschen der Insel, auf der er geboren war und lebte. Irgendeinem anderen Göteborger hätte er diese Geschichte wohl kaum erzählt. Mir als unwissendem Ausländer aber, der dennoch über die Jahre echtes Interesse für die Menschen und die hiesige Kultur bewiesen und damit Vertrauen erarbeitet hat, vertraute er dieses kulturelle Detail an. Für ihn war es eine Gelegenheit, etwas Wichtiges zu formulieren, zu erklären und gleichzeitig zu hinterfragen. Etwas, über das man sonst eben nicht so spricht. Damit ergab sich ein Gespräch, das für uns beide wichtig wurde. Derartige Begegnungen und Unterhaltungen sind übrigens ein Schlüssel, um der Polarisierung entgegenzuwirken, die sich gerade pandemiemäßig auszubreiten scheint: Vertrauensvolle Begegnungen mit solchen, die anders sind als man selbst. Versuche, dem Anderen etwas verständlich zu machen. Oder der Anderen zuzuhören, sie verstehen zu wollen, Interesse zu zeigen und Barmherzigkeit zu üben. Und zwar in einem Maße, das auch mir hilft, eigene Schwächen oder Peinlichkeiten preisgeben zu dürfen.
Das geht nicht über Nacht.
Es ist ein Lebensstil, der eingeübt werden will.
Ein Zahn ist schnell ausgeschlagen.
Vertrauen wächst langsam.
Ein Göteborger ist nicht gleich einem Göteborger.
(Poseidonstatue in Göteborg)
Wenn wir uns vorzustellen versuchen, wir würden tatsächlich z.B. in Neapel neu anfangen, so wären wir zurück auf ”Los!”, ganz am Anfang eines ganz neuen Spiels. Das hier gewachsene Vertrauen bliebe zurück.
Das gleiche gilt aber auch für einen Umzug ins Herkunftsland.
Letzte Woche traf ich (M) eine Schwedin, und zu meiner großen Freude und Überraschung stellte sich raus, dass sie und ihr Mann ein Jahrzehnt Missionare in Thailand gewesen waren. Spontan fragte ich:
”Und?! Was war schwerer, auszureisen oder heimzukommen?” Ohne Zögern antwortete sie:
”Heimkommen natürlich! In Thailand sehe ich aus wie eine Schwedin, blond und blauäugig, alle wissen sofort, dass ich nicht von dort, dass ich anders bin. Hier aber sehe ich aus wie erwartet, ich beherrsche die Sprache und dann erwarten auch alle, dass ich schwedisch bin, schwedisch denke, mich schwedisch verhalte. Doch so bin ich einfach nicht mehr! Ausland verändert, plötzlich ist das Heimatland keine Heimat mehr.”
Hier erklärt ihr niemand mehr die merkwürdigen Heimlichkeiten der sie umgebenden Kultur. Nun erwartet man, dass sie einfach weiß. Kein Austausch mehr über das Grundlegende. Nun setzt man voraus. Und schweigt. Regt sich auf, wenn jemand den Erwartungen nicht entspricht.
So fühlen sich viele, die nach langem Auslandsaufenthalt ins Ursprungsland zurückkehren,
wie wir immer wieder von Heimkehrern aus anderen Kulturen hören
(Foto von einem Fischmarkt auf Sizilien)
Schweigen aber, die fehlende Kommunikation mit unserem Nächsten über grundlegende Annahmen oder Bedürfnisse, ist eine Brutstätte des Frusts, ist Nährboden des Konflikts. Hier keimt die Polarisierung, wächst im Dunkel heran, weil man eben nicht weiß, sondern nur glaubt zu wissen. In diesem falschen Glauben riskiert man, alles Fremde erst schräg von der Seite, dann von hoch oben anzusehen. Man läuft Gefahr, die merkwürdigen Fremden langsam zu entmenschlichen, sie irgendwann vielleicht sogar als Tiere oder Krankheit zu betrachten. Selber sieht man sich dann gern in der Opferrolle. Über kurz oder lang kann man sogar ernsthaft zu glauben beginnen, man täte der Welt einen Gefallen, indem man Waffen zieht und Bomben zündet, um den Pöbel auszurotten.
Erst wird geschwiegen, dann geschrien – das sollten wir doch besser hinkriegen.
Das klingt brutal. Und doch zeigt die Weltgeschichte (und tut es leider wieder), dass niemand gegen diese Versuchung immun ist. Auch Christen nicht. Es geht jeden an, weil Polarisierung sich gerade weit in die Zivilisation frisst. Das Wir-gegen-die-Denken wird wieder populär in der Welt. Wir brauchen also eine Gegenkultur, einen Lebensstil, um dem entgegenzuwirken:
Selig sind die Friedensstifter.
Selig die Demütigen.
Die Barmherzigen.
Dieser Lebensstil beginnt im Alltag, in der täglichen Begegnung mit dem, der anders ist. Er fordert Austausch, Interesse, Zuhören. Gemeinde war vom ersten Tag das Beisammensein der anders Seienden, ein multikulturelles Gemisch, ein sprachliches Allerlei. So muss, so wird Gemeinde bis zum letzten Tag der Ewigkeiten bleiben.
Die himmlische Staatsbürgerschaft umfasst alle Hautfarben, Dialekte und Kulturen.
“Der Blaumann” heißt das Kulturhaus in unserem sehr multikulturellen Stadtteil Angered,
ein Platz der Begegnung, mit dem wir lange zusammengearbeitet haben.
Und so kommen wir zu dem Schluss, das wohl gerade der interkulturelle Dienst, in den Gott uns 2006 gestellt hat, der uns seither mit vielen internationalen Nachbarn, Begegnungen und Erfahrungen segnete, für uns gerade jetzt eine völlig neue Dimension erhält:
Wir verstehen Ausländer, wir sind selber welche.
Wir verstehen das Gefühl, nicht hundertprozentig reinzupassen.
Wir verstehen kulturelle Obdachlosigkeit.
Wir selbst sind keine Schweden, aber auch keine Deutschen mehr – obwohl wir beide Staatsbürgerschaften innehaben. Egal, wo wir sind, sind wir immer ”anders”, weil Ausland verändert. Das internationale Leben hinterlässt Spuren.
Aber gerade das öffnet Türen.
Wir sind offen für das Neue, das Andere, die Anderen. In genau diesen rastlosen und nervösen Zeiten wollen wir nicht verurteilen, sondern Friedensstifter sein. Wir wollen wachsen und Früchte der Nächstenliebe tragen. Auf den Friedensfürst hinweisen. Zur Vergebung einladen. Und zwar genau an der Stelle, an die Gott uns gepflanzt hat und das genau so lange, bis er der Meinung ist, wir gehören besser wieder ausgegraben und umgepflanzt.
In diesem Sinne möchten wir Euch noch einmal die drei Gebetsanliegen aus dem Video anbefehlen. Denn diese Aufgabe ist groß und erledigt sich nicht von selbst. Sie braucht so viel Kraft, dass es göttlichem Beistand gleichkommt – und damit braucht es viel Gebet.
Herzlichst,
Euer Marcus
Eure Karen
Übrigens, auch unsere Kinder denken, leben und heiraten international…
… deshalb kommt es nicht oft vor, dass wir alle nebeneinander stehen!