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Zu meinen Aufgaben gehört es, einmal jährlich einen Studienbesuch für meine Studenten in einer “anderen Kirchenfamilie” zu organisieren, gerne mit Möglichkeit zum Gespräch mit jemandem, der sich dort auskennt. Da fast alle meine Studenten Freikirchler sind, muss es also was anderes sein, aber möglichst keine lutherische “Svenska Kyrka” , denn die kennen die meisten doch zu gut. Ich schreibe diese Zeilen also unmittelbar, nachdem ich von einer katholischen Hochmesse auf Latein. Mir sitzt der Weihrauch buchstäblich noch in den Kleidern.


Die Christus-König-Kirche der Stadt


Man sollte an dieser Stelle anmerken, dass katholische Kirche nicht gleich katholische Kirche ist. In Bayern denkt man z.B. unmittelbar an das, was man dort darunter versteht. Auch Italien oder Irland sind kulturell sehr katholisch, aber auf völlig unterschiedliche Weisen und ganz anders als etwa Bayern. In Schweden hingegen hat katholische Kirche seit der Reformation gar keine Geschichte und damit auch keine Traditionen, die sie hätte pflegen können. Erst spät im 20. Jahrhundert konnte sie sich langsam etablieren. Das heißt, sie wurde vollständig von der Theologie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil geprägt. Hier gibt’s also keine religiösen Volkstraditionen, sondern viel reine, katholische Lehre. Das ist ein großer Unterschied zu anderswo. Und macht manches einfacher und verständlicher.



Wie sich herausstellte, dauerte die Messe keine 40 Minuten wie angekündigt. Wir waren nämlich in der Kristus Konung Kyrka in Göteborg und heute ist Christkönigsfest, Namenstag der Gemeinde sozusagen. Entsprechend war der Gottesdienst doppelt so lange. Hochmesse auf Latein. Später werden wir erfahren, dass gerade die jungen Ministranten völlig heiß auf das Lateinische seien. Man könne gar nicht genug davon kriegen.

Interessant.

Das war unerwartet.



Bei der anschließenden Erörterung der Messe bei Werners, einer benachbarten Bar, erfahren wir von unserer Kontaktperson viel über die Kirche und ihre Theologie. Aber auch, welche Gründe es für ihn persönlich gab, als geborener Freikirchler zum Katholizismus zu konvertieren. Ich kannte ihn nämlich noch als Mitglied unserer Partnergemeinde in Göteborg, mit der wir als H2O zusammenarbeiteten. Vor etwa zehn Jahren, noch vor Ulf Ekman, dem in Schweden sehr bekannten charismatischen Pastor, konvertierte er zur katholischen Kirche.

“In der Freikirche wird ständig bewertet” sagt er. Wie gottgefällig man lebt. Wie sehr man glaubt. Wie gut man mitarbeitet. Wie man in die Gemeindekultur passt. Wie groß oder erfolgreich die Gemeinde ist. Das gibt zwar niemand offen zu, aber de facto ist es doch so.” In der katholischen Messe spiele es hingegen keine Rolle, wer man sei. Dort stehe von Anfang bis Ende vor allem Christus im Zentrum, sonst nichts. Auch der Priester nicht, der sei schließlich nur ein Vermittler.

Hier spricht unser Freund vermutlich einen nicht ganz unwichtigen Punkt an. In Freikirchen glaubt man natürlich und ganz offiziell an die “Gnade allein”. Doch beim genauen Hinsehen könnte man zweifeln – Gemeindestress und viele Stunden Ehrenamt lassen bei manchen eben doch die Befürchtung einer insgeheimen Werksgerechtigkeit aufkeimen.

“Der Priester folgt einer genauen Liturgie” sagt er und weist auf das Gottesdienstbuch hin. Dort könne man alles mitlesen, davon gebe es in der Regel keine Abweichungen. In Freikirchen würde hingegen so viel geschwatzt, viel zu viel, seiner Meinung nach. Es käme einer Selbstinszenierung derer vor, die vorne auf der Bühne etwas sagen oder aufführen dürfen.

Ja, ich glaube, ich kann auch hier sehen, was er da meinen könnte. Ganz besonders bei gewissen Gemeindeformaten.



Dann sei da der ganze symbolische Reichtum in Kirchen, Messen und Liturgien. Alles habe Bedeutung, alles erinnere an irgendetwas – die Bilder, die Gegenstände, der Rauch. Neulich sei er mal im Gottesdienstsaal einer ganz neu gebauten Freikirche gewesen. “Wo ist die Kunst? Wo ist ist die Kunst?!” habe er sich mehrfach gefragt. Alles wirke so nackt und steril. Warum dann überhaupt ein Gemeindehaus, wenn es doch nur ein neutraler Raum bleibe, der dann ohne Aussage eine schwache oder gar nicht vorhandene Theologie ausdrücke.

Provozierend, aber auch hier kann ich durchaus zustimmen. Nicht, das mich katholische Kunst in Verzückung versetzt, eher im Gegenteil. Aber das freikirchlich-sachlich-Logische, das meint, den Glauben rational erklären zu können und wenig Raum für unbeantwortete Fragen, das Mystische, Meditative, das Schwere lässt, ja, das sehe ich durchaus als eine historische Schwäche vieler freien Gemeinden. Zum Glück ändert sich das gerade – wenn auch sehr langsam. Es steckt noch in den Kinderschuhen. Wir Freikirchler müssen da noch einige Lektionen lernen. Wo die Grenze zwischen Qualität und Peinlichkeit geht, zum Beispiel. Oder zwischen Kunst und Propaganda.

Die Kohorte aus Priestern und Messdienern hatte jedenfalls einen gregorianischen Gesang geliefert, der Weltklasse war: Sauber, synchron, perfekt die Töne gehalten. Gregorianischer Gesang ist sicher Geschmacksache, doch man spürt, wenn Leute etwas lieben und deshalb gerne und gut machen. Das ist ansteckend.

Die Verwendung solch alter Gesänge und Liturgien hat für unseren Freund etwas Beruhigendes, Friedliches. In Freikirchen, so hat er beobachtet, sei immer gerade etwas anderes in. Irgendein hipper Pastor, auf den grad alle abfahren. Dann musste man unbedingt auf alle Willow-Creek-Kongresse. Danach kommt irgendein Author, den man dringend kennen und lesen muss. Freikirchen flattern wie Fahnen im Wind, findet er, und davon habe er irgendwann genug gehabt.



Gewiss, wir sprachen auch über Dinge, die wir anders sehen. Kirchenhierarchie. Die Rolle Marias. Fegefeuer. Heiligenverehrung. Wie oben erwähnt, muss ich nochmals betonen, dass die schwedisch-katholische Theologie verglichen mit vielen anderen Ländern reiner und viel weniger synkretistisch ist. Das macht selbst die schwierigen Themen verständlicher. Auch wenn man nicht zustimmt, fällt es dennoch leichter, es stehen lassen zu können. Meine größten Kritikpunkte, nämlich die historische Haltung der Kirche zur politischen Macht, oder das Zölibat mit all seinen schlimmen Konsequenzen, haben wir gar nicht angesprochen. Es war schließlich ein Studienbesuch, und wir haben uns alle sehr über die freundliche Offenheit gefreut.

Und so, wie die Katholische Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil festgestellt hat, dass es auch außerhalb der Katholischen Kirche Rettung in Christus gibt, so müssen Freikirchler ebenfalls die Größe zur Feststellung haben, dass es sie auch in der Kirche gibt. Der Leib Christi ist groß – und Gott ist immer größer als alles, was wir fassen können.

Ich gebe zu, eben etwas gemacht zu haben, was ich bisher noch nie gemacht habe: Ich habe Weihwasser benutzt und ein Kreuz geschlagen. Denn kurz vorher hatten wir erfahren, was das eigentlich soll: Es ist eine Erinnerung an die Taufe, ein Sich-Bewusst-Machen, dass man in Christus getauft ist. Auch die Symbolik im Kreuz schlagen fand ich schön: Vom Himmel zur Erde zum Herzen zur Welt. In diesem Sinne hab ich mich gerne an meine Taufe erinnert.

Gewiss, ich hatte durchaus Bedenken, meine Hand zum aller-allerersten Mal ins Weihwasser zu tauchen. Doch die waren eher hygienischer, nicht theologischer Art.



Nachtrag vom 26. November 2023

Heute Morgen bin ich nochmal zur Kirche gefahren. Diesmal aus purer Neugierde, wie viele wohl dort zu einem Sonntagsgottesdienst erscheinen. Ich war sehr früh dran. Auf der Empore sang ein Chor in perfekter Harmonie. Zu Beginn habe ich mich wieder an meine Taufe erinnert. Dann strömten die Massen rein. Die Kirche wurde bis auf den letzten Platz gefüllt, viele mussten stehen.

Ich war, ehrlich gesagt, beeindruckt.



Author

marcusis@icloud.com

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