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Die Kreuze sind gesetzt, die Umschläge versiegelt, frankiert und abgeschickt. Mein Fehler bei der letzten Bundestagswahl durfte nicht wieder passieren: Mein Antrag auf Briefwahl ging 2017 einen Tag nach Ablauf der Frist für Auslandsdeutsche beim zuständigen Wahlamt ein.

Man darf zwar jeden Fehler machen, aber nur einmal. Außerdem ist die Wahl 2021 irgendwie besonders. Obendrein könnte es meine drittletzte Chance sein, meine Stimme zur Bundestagswahl abgeben zu dürfen. Wer länger unterbrechungsfrei im Ausland verbleibt, wird aus der Wählergemeinschaft ausgeschlossen. Denn Deutschland hat die merkwürdige Art, ihre eigenen Bürger nach 25 Jahren im Ausland kurzerhand für wahlunmündig zu erklären. Nur wer schriftlich beweisen kann (!), dass man persönlich vom Ausgang der Wahl “betroffen” wäre, darf vielleicht doch noch ein Kreuzchen auf den Wahlzettel malen. Das ist merkwürdig und ganz anders als z.B. in der Schweiz, die ganz bewusst und mit Stolz alle Auslandsschweizer aktiv in Wahl und Wahlkampf einbezieht.

Aber Deutschland scheint gerade so manches nicht wirklich verstanden zu haben. Vielleicht war das ja schon immer so, und ich habe es nur nicht mitbekommen, weil ich zu jung oder viel zu lange politisch zu uninteressiert war. Erst durch das späte Theologiestudium lernte ich, historisch zu denken. Durch den Umzug ins Ausland lernte ich, international zu denken. Durch einen Job als Europadirektor lernte ich schließlich, auch diplomatisch und politisch zu denken. Heute ist mir bewusst, dass Deutschland doch keine Scheibe ist, um die sich alle Sterne drehen und hinter deren Ende man ins Nirwana der Bedeutungslosigkeit fällt.

Politik sieht im Inland immer etwas anders aus als aus dem Ausland. Beide Perspektiven sind wertvoll. Um meine Stimme verantwortungsvoll abzugeben, habe ich mich, so weit möglich, in den deutschen Wahlkampf vertieft. Dabei verblüffen drei Dinge gleichermaßen. Erstens, wie viel die Politik eigentlich weiß (zum Beispiel über demographische Entwicklungen und deren konkrete Konsequenzen, oder die sogenannten “Vulnerabilitätsberichte“, doch das sind nur zwei von unzähligen Beispielen). Zweitens das plakative Phrasendreschen in ihren Wahlprogrammen (siehe unten). Und drittens, wie wenig man wirklich an den eigentlichen Problemen arbeitet.

Der Wahlkampf wirkt wie ein Ü80-Tanztee mit Gratis-Antidepressiva. Offenbar soll die Illusion aufrecht erhalten werden, dass schon alles gutgehen wird, solange man in Deutschland wohnt.

Friederike Zoe Grasshoff

In ihrem lesenswerten Kommentar spricht mir Frau Grasshoff oft aus der Seele. Was mich an heutiger Politik am meisten stört, ist die Diskrepanz zwischen Wissen und tatkräftigem Handeln. Mittlerweile sehen immer mehr ein, dass Greta wohl doch kein PR-Gag war, sondern echte Leben auf dem Spiel stehen. Diese Einsicht wird auch in der Bevölkerung immer weiter wachsen, denn in Wahrheit ist die Lage nicht nur schlimmer, als die meisten glauben, sie ist sogar viel schlimmer. Sehr, sehr, sehr viel schlimmer. Politiker wissen das und tun doch nichts, Deutschland ist da keine Ausnahme. Das nervt einfach nur noch. Da ist mir die AfD fast schon lieber, die entwickelt erst gar kein “Zukunftsprogramm”. Auf über 200 Seiten beschreibt sie ausführlich, wie sie wieder zurück in die Vergangenheit will, ins Früher, wo alles besser und die Welt noch in Ordnung war. Diese patzige Weltfremdheit ist zwar dumm und gefährlich, aber zumindest in Dummheit ehrlich.

Es ist nicht leicht, in dieser Zeit Politiker zu sein, daran gibt es keinen Zweifel. Es ist auch nicht leicht, in dieser Zeit zu wählen. Gerade deshalb muss jeder seine Stimme beitragen. Ich jedenfalls bin meiner Bürgerpflicht nachgekommen.


(Die Größe der Bilder hängt von der Weise ab, wie die jeweiligen Parteien ihre Programme im Internet präsentieren.)

Das Regierungsprogramm der CDU/CSU
Das “Zukunftsprogramm” der SPD
Das Wahlprogramm der Grünen
Das Wahlprogramm der FDP
Das Wahlprogramm der AfD

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marcusis@icloud.com

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