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Putins Angriff auf die Ukraine mischt Welt und Gemüter auf. Neulich haben die deutschen Damen Schwarzer und Wagenknecht ihr eigenes “Manifest für den Frieden” veröffentlicht, unterschrieben von vielen Prominenten. Warum ich es nicht unterschreibe, und die Welt dennoch in Gefahr sehe.

Die 1980-er waren die ersten Jahre meines Glaubens. Das geheimnisvolle Buch “Bibel” war völlig neu für mich, ebenso das Leben als Christ, Jesus eine faszinierende Gestalt. “Gemeinde” kannte ich nicht, bestenfalls “die Kirche”. Andere junge Christen traf ich auch im CVJM. Und dort wurde gerade ein heißes Eisen diskutiert: Darf man als Christ zur Bundeswehr gehen? Es war die Zeit das Kalten Krieges, die Wehrpflicht war für Männer obligatorisch. Ich wurde T1, also als voll tauglich gemustert. Viele meiner frommen Freunde, oft in christlichen Kreisen aufgewachsen, waren überzeugt, dass Wehrdienst immer Sünde nach sich ziehe. Zivildienst bedeute hingegen, Gutes zu tun. Bald stellte ich fest, diese Logik nicht nachvollziehen zu können. Sie kam mir zu simpel vor, fast schon hochmütig. Als könne man immer zwischen richtig und falsch wählen. Steht in der Ethik nicht oft genug nur Pest oder Cholera zur Wahl? Und sind die schlimmsten Sünden nicht die Unterlassungssünden – oft aus Angst, etwas falsch zu machen? Die einen womöglich mit vermeintlich weißer Weste auch noch stolz werden lassen?!* So kam es also, dass ich gelernt habe, mit Waffen umzugehen. Ich habe Maschinengewehre gefeuert und Handgranaten geworfen. Als Christ. Manche können es bis heute nicht glauben.

Es gab allerdings eine entscheidende Voraussetzung: Die Bundeswehr war zu der Zeit noch eine reine Verteidigungsarmee. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte ich den Dienst an der Waffe verweigert. In den USA wäre ich z.B. niemals zur Armee gegangen. Doch meiner Überzeugung nach hat jedes Land das Recht, sich bei militärischen Angriffen verteidigen zu dürfen. Das ist auch biblisch legitim, schließlich trägt der Staat “das Schwert nicht umsonst” (Römer 13,4). Selbst Johannes der Täufer fordert Soldaten nicht auf, ihren Dienst zu verlassen – sie sollen sich aber mit ihrem Sold zufrieden geben. Eine Armee zu halten, ist für jedes Land grundsätzlich legitim. Hätten die umliegenden Länder tatenlos zusehen sollen, als ein Wahnsinniger wie Hitler sie überrollte? Hätten ihre Regierungen ihn passiv schalten und walten lassen sollen? Das würde dazu führen, dass Psychopathen freie Hand hätten und große Teile der Welt sich widerwillig von ihnen regieren lassen müssten. Niemand kann das wollen. Man muss ihnen Einhalt gebieten. Wer T1 gemustert wurde, hat hier eine Verantwortung denen gegenüber, die sich nicht wehren können.

Aus diesem Grund habe ich die Abrüstung nach Ende des Kalten Krieges mit etwas gemischten Gefühlen verfolgt. Einerseits war es riesige Erleichterung, dass die Idiotie des immensen und unverhältnismäßigen Wettrüstens endlich ein Ende fand und wieder zurückgeschraubt wurde. Andererseits ließ man mit den Jahren seine Armeen verlottern. Die Globalisierung ließ uns glauben, dass der Mensch in Evolutionslogik nun höher entwickelt sei und aus dem Säbelrasselstadium herausgewachsen. Obendrein schien die historische Einmaligkeit eines jahrzehntelangen Friedens in Europa das auch glaubhaft zu bestätigen. “Warum so viel Geld für’s Militär ausgeben?” war plötzlich eine berechtigte Frage. Die Rüstungsindustrie begab sich in eine Art Schattendasein.

Man hatte vielleicht nur übersehen, dass manche Dinge nie so ganz besiegt werden können. Krankheit zum Beispiel. Und dazu gehört auch, das etwa 1% der Menschen psychopathische Züge entwickelt. Psychopathen haben viele Gemeinsamkeiten. Sie haben Charisma, eine gewisse Anziehungskraft. Sie sehen sofort die Stärken und Gaben in ihren Mitmenschen und artikulieren diese auch, was zur Folge hat, dass diese Mitmenschen sich gerne in ihrer Nähe aufhalten, weil man sich dort so wohlfühlt. Was man meistens nicht weiß: Für Psychopathen gibt es gar keine Mitmenschen. Alle anderen Menschen sind wie Gegenstände für ihn oder sie, nichts als Werkzeuge, die nur einem einzigen Zwecke dienen: Die eigenen Ziele zu erreichen, koste es, was es wolle. Psychopathen sind die perfekten Diktatoren – und alle Diktatoren waren durch die Bank Psychopathen. Man hätte also damit rechnen können, dass irgendwann, irgendwo mal wieder so jemand an die Macht kommen wird, und man es – wie üblich – zu spät bemerkt. Man hätte vorbereitet sein können. Doch man war es nicht.

Es erübrigt sich, an dieser Stelle nochmal zu erwähnen, dass ich der Ukraine ihr volles Recht auf volle Verteidigung zugestehe. Einem modernen Psychopathen, für den selbst die eigenen Soldaten nichts als Kanonenfutter zur Durchsetzung wirrer Wahnvorstellungen sind, muss auch heute Einhalt geboten werden. Verhandeln ist zwecklos, denn für ihn sitzen keine Menschen, sondern Gegenstände am Verhandlungstisch, die es auszunutzen und auszuspielen gilt. Es ist klug, die Eskalation zum dritten Weltkrieg vermeiden zu wollen, indem man den Krieg auf die Ukraine beschränkt und sie stattdessen mit dem Nötigen unterstützt, um den Aggressor wirklich in die Schranken weisen zu können. Damals wie heute soll sich niemand widerwillig von einem Geisteskranken regieren lassen müssen. Deshalb ist das schwawa’sche Friedensmanifest eher ein Brief aus Wolkenkuckucksheim, so verständlich und richtig Kriegsängste und Friedenswünsche auch sind.

Die Stirn aber runzle ich wegen meines Eindrucks, dass das Pendel gerade ins andere Extrem schwingt. Wenn Staaten, die jahrzehntelang neutral und darauf stolz waren, sich plötzlich mit großer Begierde Militärbündnissen an den Hals werfen, dann lässt das aufhorchen. Wenn Parteimitglieder, deren Parteien sich historisch für Abrüstung und Pazifismus eingesetzt haben, plötzlich öffentlich Waffenbezeichnungen und Panzernamen herunterrattern wie eine Maschinenpistole, dann stimmt was nicht. Wenn die Rüstungsindustrie plötzlich aus ihrem Schattendasein heraustritt, und zwar als stolzer Weltenretter, dann stelle ich Lauscher und Nase in den Wind, denn ich wittere Gefahr. Kampfgeräte aller Größen und Gewichte – gestern noch halbgeächtet und -verrostet – werden heute plötzlich wieder cool.

Die verknotete Pistole ist wohl das bekannteste Werk des schwedischen Künstlers Carl Fredrik Reuterswärd. (Image by Zorro4 from Pixabay)

Jede Gefahr potenziert sich, wenn sie unterschätzt wird. Schusswaffen sind besonders gefährlich in den Händen eines Anfängers. Das gilt auch auf politischer Ebene. Jetzt auf die Schnelle nachzuholen, was lange versäumt wurde, und die Rüstung auf Teufel-komm-raus anzukurbeln, mag in Anbetracht der Lage verständlich und vielleicht sogar nötig sein. Der Schuss kann aber auch nach hinten gehen. Waffen üben nämlich auch diese magische Faszination aus, geschossen werden zu wollen, hält man sie erstmal in den Händen. Diese Faszination ist oft das Produkt aus Selbstwertgefühl und Testosteronspiegel. Je geringer das erste und je höher das zweite, desto cooler fühlt man sich mit einer mächtigen Waffe/Armee in der Hand. Schusswaffen und Munition sind aber nicht cool. Es waren, sind und bleiben Tötungswerkzeuge. Absolut nichts erstrebenswertes, sondern ein ebenso qualvoller Kompromiss wie die Nebenwirkungen einer Chemotherapie.

Eine funktionierende Armee zu haben und zu unterhalten, ist für jedes Land ebenso wichtig wie eine funktionierende Polizei. Doch die derzeit starken Schwankungen von fast Stillstand zu Vollgas sind gefährlich. Damit kann nicht jeder gut umgehen. Weisheit ist heute leider Mangelware. Zu verwöhnt sind wir vom Überfluss, zu selbstverliebt von unseren Selfies. Unsere Gesellschaften sind leider alles andere als bebensicher. Wenn europäische Wirtschaften jetzt Kriegswirtschaften zu werden drohen – was nicht zwingend passieren wird, aber gerade auch nicht ausgeschlossen werden kann -, dann schaffen wir uns ein Pulverfass, buchstäblich. Wer weiß, zu welchen Ideen das verleiten könnte. Wir haben ja erst zur Pandemie gesehen, wie schnell sich alles ändern kann. Wir leben heute nicht sicher, wir leben gefährlich, doch wir scheinen die Gefahren allesamt zu unterschätzen.

Am Ende meines Wehrdienstes wurde ich übrigens wegen eines unerwarteten medizinischen Eingriffs von T1 auf T3 herabgemustert. Mittlerweile dürfte ich T5 sein – kampfuntauglich. Nur den Kampf gegen die Dummheit, den kämpfe ich gerne weiter. Denn alle Weisheit beginnt mit Ehrfurcht vor Gott. Doch das ist bloß der erste Schritt. Herr, stehe uns auf dem Rest des Weges bei!

Ja, auf beiden Gruppenfotos bin auch ich versteckt.

* Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich hinzufügen, dass ich damals wie heute großen Respekt vor der Gewissensentscheidung aller hatte und habe, die sich für Zivildienst entschieden haben. Vielen ist auch diese Entscheidung nicht leicht gefallen. Ich möchte nur verdeutlichen, warum ich mich persönlich 1987 anders entschieden habe, was in christlichen Jugendkreisen eher die Ausnahme war.

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marcusis@icloud.com

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