Mindestens eineinhalb Jahrzehnte lang verbrachte ich einen großen Teil meiner sozialen Zeit mit Menschen außerhalb christlicher Milieus. Und wünschte, sie könnten Gott auch mal als Vater erleben. Zunächst dachte ich, dazu bräuchte es nur modernere Gemeinden, etwas mehr Pep, weniger altes Brot. Mit der Idee, frischere Gemeinden zu starten, zogen wir nach Norden. Doch dann kam der erste Besuch in unserer neuen Partnergemeinde. Ziemlich frustriert ging ich damals wieder heim, denn moderner und peppiger als das, was ich dort erlebt hatte, ging eigentlich gar nicht: wunderbare Stimmung, perfekte Musik, super Predigt, coole Leute und Gemeinschaft. Warum war ich überhaupt hierher gekommen, wo es doch schon alles gab?!
Folgerichtig lud ich in der folgenden Zeit jeden in die Gottesdienste ein, den ich kennenlernte und einen Funken Interesse zeigte. Das musste sie doch einfach überzeugen, so überzeugt war ich. Doch die Reaktion nach dem Gottesdienst war dann immer gleich enttäuschend: “Danke auch für die Einladung. War ja ganz nett. Ich bin froh, dass du hier einen Platz gefunden hast, der dir guttut. Wiedersehen!”
So ging das nicht. Der vermeintlich perfekte Gottesdienst wollte absolut nicht funktionieren. Ich musste wohl noch viel weiter vorne anfangen. Viele Kilometer vor der Abbiegung zur Einladung in einen Gottesdienst. Aus dieser Reise in die Tiefen der nichtkirchlichen Welt wuchs langsam H2O hervor, irgendwann auch mit wöchentlichen Treffen, aber einer völlig anderen Art. H2O gibt es heute zwar nicht mehr, aber ein neues Projekt, dass daraus entstanden ist. Unsere Treffen dort sind wieder total anders.
Und noch was ist passiert gerade mit mir. Etwas, das ich mir nie hätte vorstellen können. Wenn ich nämlich heute, nach allen Jahren in Gottesdienste gehe, zu denen ich früher mit voller Überzeugung eingeladen hatte, empfinde ich so etwas wie: “Ja, ist ja ganz nett hier. Ich bin froh, dass die Leute sich hier alle so wohlfühlen. Tschüss auch!” Was? Geht’s noch?! Heute habe ich dieselben Gefühle wie meine damaligen Missionssubjekte, die artig meiner Einladung folgten. Und das, obwohl ich im Gegensatz zu denen schon und immer noch an Jesus glaube!
Warum ist das so? Darüber habe ich viel nachgedacht und komme zu dem Schluss, dass ich mich nicht mehr als Teil jener typischen Gemeindekultur empfinde. Genauso, wie ich mich mit jedem Jahr im Ausland weniger als Teil der deutschen Kultur empfinde, ein Phänomen, das es nicht erst seit Hudson Taylor gibt. Man fühlt sich als Externer, nicht mehr richtig eingeschlossen in die Gemeinschaft. Die ganzen Leute hier kümmern sich hingebungsvoll um ihren Glauben und haben dabei eine Gottesdienstkultur entwickelt, die nicht (mehr) wirklich meine ist. Diese Kultur unterscheidet sich von Gemeinde zu Gemeinde, doch eins haben alle gemeinsam: Dem Gott, den sie dienen, scheint nichts auf der Welt wichtiger zu sein als genau dieser Gottesdienst. Wie wir beten, singen, predigen und anbeten scheint das zentrale Element des ganzen Glaubens zu sein. Der ganze Rest der Welt scheint Gott, und damit allen hier versammelten Gläubigen, eher nebensächlich zu sein. Weil ich mich aber nicht mehr als Teil dieser Gottesdienstkultur empfinde, werde auch ich zur gefühlten Nebensache Gottes – und das ausgerechnet im Gottesdienst. Wer hier kein Mitglied werden will, bleibt ein Gast am Rande.
Gottesdienste mögen ein wichtiger Weg sein, Jesus zu begegnen, aber in diesen Übergangszeiten von christlichen zu postchristlichen Gesellschaften wird es immer schwerer werden, das Gefühl des Ausgeschlossen-seins zu vermeiden. Wir müssen verstehen lernen, dass Gott schon lange vor der Abbiegung in den Gottesdienst wirkt. Gott denkt sehr viel breiter als wir glauben. Genau dort muss unser Ansatz liegen.
Zum Beispiel erinnere ich mich an die Unterhaltungen mit einer jungen Greenpeace-Aktivistin. Ihr war der Einsatz für den Planeten extrem viel wert. Sie glaubte sogar an Gott, wenn auch eher vage, doch ihr Aktivismus war ihr eine Art Gottesdienst. Leider war ich damals noch nicht so weit, den Wert der Schöpfung als eine geistlich weit offene Tür anzusehen. Hätte ich ihr klarmachen können, wie wichtig ihr Einsatz ist, weil sie damit unbewusst Jesus, dem Schöpfer dient, wahrscheinlich hätte ich offene Tore eingerannt. Die sogenannte Theologie der “Allgemeinen Offenbarung”, ohnehin viel zu stiefmütterlich behandelt in unserer klassischen, “systematischen” Theologie, könnte sich in unserer Zeit mit enormen Handlungsbedarf für den Planeten als wahre Schatztruhe für die Mission herausstellen.
Wir müssen offener für Gottes Möglichkeiten und Größe werden. Gott ist kein Schmalspurgott, den die falschen Musikinstrumente oder Liturgien nerven auch wenn so mancher Gottesdienstgast ihn vielleicht als solchen erleben mag. Gott hat unzählige Wege, Menschen zur Erlösung zu führen. Die gibt es nur im Auferstandenen, doch ungezählte Wege und Pfade führen zu Jesus.