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(Foto oben: Auch wer seine Augen immer wachsam offen hält, sollte sie manchmal lieber schließen – wenn zum Beispiel ein grüner Laser droht.)

(Grüne Hoffnung X)

Wie bekommt man einen exakten rechten Winkel hin? Also, kein kleiner mit dem Geodreieck auf Papier, sondern ein großer auf mehreren Metern unebenem Boden? Ein erfahrener Bauarbeiter mag mich für diese Frage auslachen. Für mich aber, der immer überzeugt war, handwerklich mit zwei linken Armen geboren worden zu sein, stellt das ein echtes Problem dar. Die Instruktion in der Gewächshaus-Aufbauanleitung lautet: “Stellen Sie sicher, dass sich das Fundament in der Waage und im exakten Winkel befindet”. Sowas löst bei mir Adrenalinwallungen mit hohem Puls und Blutdruck aus. Vor allem Worte wie “exakt”.

Doch dann wiederum kommt aus der anderen Hirnhälfte: “Hey, komma’ runter, Marcus. Take a chill pill. Dein ganzes Leben ist ne Ausbildung, eine Lektion nach der nächsten. Und du hast sie alle gemeistert. Auch die heftigen, wie zum Beispiel sämtliche Scheißhausdichtungen in der kompletten Klinik Kipfenberg ganz alleine auszutauschen. Da wirst du doch wohl noch zwei simple Linien im rechten Winkel hinkriegen.” Recht hat sie ja, die linke Hirnhälfte. Oder war es der Heilige Geist, der sich da grad gemeldet hat?

Ich beginne also mit dem, was ich kenne. Und das sind nunmal Geodreiecke. Meine Suche nach Riesengeodreiecken für den Maurerbedarf gestaltet sich als schwierig. Drei oder mehr Meter Kantenlänge gibt’s einfach nicht so oft. Zumindest finde ich einen Zimmermannswinkel, da ist der lange Schenkel immerhin acht lang. Also Dezimeter. Den nehme ich zwar, aber wirklich beruhigen tut das Ding mich nicht. Meine Nachforschungen führen mich als Medizintechniker zu moderneren Methoden: Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation, besser bekannt unter dem Akronym LASER. Genau. Sowas brauch ich.

Ich organisier mir so’n Teil, das lasergenau Winkel anzeigt. Yo! Und stelle fest: Erstens, so ein Laser ist wahnsinnig cool. Ich fühl mich wie the Maurer of the year. Mit dem Ding werd’ ich’s allen zeigen, vor allem mir selbst. Wow, so cool ist das! Zweitens, die Sonne ist cooler. Also, vor allem ist sie heller. Ich sehe nämlich nichts vom Laser. Keinen Strich, keinen Punkt, nix. Hm. So geht das nicht. Das mit dem Coolsein hat sich jedenfalls schnell erledigt.

Meine große Stunde kommt also erst nach Sonnenuntergang. Da beginnt hier voll die spektakuläre Lasershow im Garten. Formidabel, in futuristischem Grün, wirklich beeindruckend. Doch während ich völlig entzückt um die grünen Muster herumtanze, fällt mir plötzlich auf, dass ich vielleicht doch besser beten sollte, dass alle meine Nachbarn bitte, bitte gerade im Urlaub sind oder schon fest schlafen. Denn eine der eindrucksvollen grünen Rundumlaserlinien schneidet sich beim ersten Nachbar mitten durchs komplette Wohnzimmer, beim zweiten schweißt sich die enorme Licht-Verstärkung durch stimulierte Emission von Strahlung durch die dünne Hecke bis hinein in die Küche, beim dritten macht sie aus seligem Schlafzimmer gerade eine Disco. Nicht, dass hier noch jemand erblindet! Ich sehe ein, das Ding besser ganz schnell wieder auszuschalten und frage mich, wie ich aber dann dem tollen grünen rechten Winkel vor mir ein Weiterleben nach dem Ausschalten geben kann. Mir fällt grad nix ein. Doch immerhin weiß ich jetzt, wie man einen großen, exakten rechten Winkel hinbekommt. Ich habe mein Riesengeodreieck gefunden.

Meine Nachforschungen am Tag danach ergeben: 1) Nachbar eins ist im Urlaub. 2) Nachbar zwei aber nicht, das sind nämlich Rentner, die haben immer frei, aber die waren Gott sei Dank nicht in der Küche. 3) Nachbar drei ist samt Familie auch grad weg. 4) Ich entdecke ein weiteres cooles Werkzeug, das perfekt zur Lasershow passt! Ein Ding, mit dem man Laserlinien dauerhaft sichtbar machen kann. Ich entdecke: Die Maurerschnur! Was für ne Erfindung! In Neonfarben sogar, wow. Jetzt muss ich nur noch eine Zeit finden, wo Nachbar zwei, die beiden Rentner, garantiert nicht in der Küche raven. Ein Uhr morgens sollte passen. Es stellt sich heraus: Es passt perfekt.

Und siehe da: Am nächsten Tag sind meine Linien abgesteckt! 90° und ich fühle mich hoffnungsvoller. Nun kann das Graben, Hacken und Bauen beginnen. Die nächste Hürde ist gemeistert. Hand auf’s Herz: Wenn wir alle unseren beiden Gehirnhälften etwas besser zuhörten (und dem Heiligen Geist natürlich auch) und uns trauten, zuversichtlich Neues zu wagen, den kleinen und großen Spuken, die uns gerne Angst einjagen, entgegenzutreten und mutig ins Auge zu sehen, würde so mancher Dämon seine Macht verlieren und verblassen wie ein Laserstrahl in praller Sonne. Gemeinsam könnten wir nicht nur Gespenstern wie 90°-Riesenwinkeln beikommen, sondern sogar dem Klimawandel.

Nächstes Mal gibt’s ein paar Bilder zum Fortschritt.

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marcusis@icloud.com

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