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Es brennt an vielen Stellen, buchstäblich und bildlich. Sind wir wachsam wie die Feuerwehr?
Kürzlich bekam ich die Unterhaltung einiger Studenten mit, wie jemand am Tisch von einem Telefonat mit den Großeltern berichtete. Diese machten sich nämlich ernste Gedanken darüber, ob die Ausbildung ihres Enkels auch ausreichend die Zeichen der Zeit erläutere – was die meisten Kommilitonen offensichtlich einen recht amüsanten Gedanken fanden. Die besorgten Großeltern erhielten auf ihre Frage eine kurze Zusammenfassung der Berufsausbildung ihres Enkels: Inhalte, Aufgaben, Bücher, das wöchentliche Praktikum in der Ausbildungsgemeinde. Das alles schien diese aber nur wenig zu beruhigen, denn am Ende schlossen sie das Gespräch mit einem lauten und eindringlichen “Bedenkt die Zeichen der Zeit!” ab.
Offenbar waren sich alle jungen Leute am Tisch einig, dass das eine lustige Geschichte war. Nun weiß natürlich jeder, dass ein gediegenes Theologiestudium mehr als nur Eschatologie, also die Lehre von den letzten Dingen enthält. Außerdem sollte man noch zwei Dinge über Schweden wissen: Erstens waren ausgebildete Pastoren in den jungen Jahren jener Großeltern eher die Ausnahme als eine Regel. Man verließ sich da ganz auf den Heiligen Geist, sowohl bei der Berufung junger Männer in den Pastorendienst als auch bei deren anschließender Bibelauslegung. Zweitens war die Wiederkunft Jesu das ganz große Thema charismatischer Christen in der ersten Hälfte des schwedischen 20. Jahrhunderts. Fast jede Woche wurde darüber gepredigt. Ob das wirklich immer der Heilige Geist war, ist schwer zu beurteilen, doch ich habe meine Fragen. Viele Gemeindemitglieder haben das Thema nämlich auf die Dauer als moralisierendes Druckmittel erlebt, worauf so mancher später wählte, den Glauben lieber doch wieder an den Nagel zu hängen. Die Themenwahl hat also auch ihren Beitrag zur Säkularisierung Schwedens beigetragen. Irgendwann haben viele Gemeinden das auch eingesehen und den Kurs geändert. In einer zeitintensiven Forschungsarbeit, für die mein Kollege Pontus ungezählte pfingstlerische Predigten des 20. Jahrhunderts durchgearbeitet und analysiert hat, kommt er zu dem Schluss, dass hier ein extremer Schwenk stattgefunden hat: Von anfangs jeder Woche kehrt Jesus heute nur noch in einem verschwindend kleinen Bruchteil der Predigten zurück zur Erde.
Ich frage mich dennoch, ob man hier nicht auf der anderen Seite vom Pferd fällt. Wenn die Wiederkunft wirklich das nächste, große zu erwartende Ereignis der Heilsgeschichte ist, dann muss es auch gebührend Raum im großen Bild der Themen einnehmen, über die sowohl offiziell als auch bei Kaffee und Kuchen unter Christen geredet wird. Tun wir das nicht, könnte man meinen, dass wir nicht wirklich glauben, die Rückkehr Jesu sei das nächste große Event, auf das wir alle warten. Man könnte meinen, dass wir in Wahrheit alle nur noch recht ziellos umherdümpeln. Natürlich will man sich nicht lächerlich machen, indem man mit theatralischem Zeigefinger restlos alles und immer nur auf die bevorstehende Entrückung bezieht. Die Wiederkunft hingegen zur bloßen philosophischen Theorie verkümmern zu lassen, ist auch keine Lösung.
Erst recht nicht in Zeiten, wo große Verwirrung, Unsicherheit und Zukunftssorge herrscht, wo die Sehnsucht nach Hoffnung mit Händen zu greifen ist. Die Surrogate, mit denen wir den Glauben an Gott zu ersetzen versuchen (eins hatte ich im vergangenen Blogpost vorgestellt), halten einfach nicht. Im Gegenteil, sie führen immer mehr zur Zerbröselung der Gesellschaften, zu Angst und Zerstörung. Was wir erleben, ist eine zunehmend globale Instabilität. Wahrscheinlich muss es alles so kommen, doch das eben erkennt nur, wer von “den Zeichen der Zeit” weiß. Wer z.B. in den vergangenen sieben Tagen die globalen Nachrichten verfolgt hat (und das hier schreibe ich in KW 41/23), war sich manchmal nicht sicher, ob man gerade die Zeitung oder doch Lukas 21,7-11 liest. Die Inhalte sind nahezu austauschbar, und das im Angesicht einer obendrein nahenden Trübsal, wie sie noch nie gewesen ist – hier sind Bibel und Wissenschaft sich ebenfalls völlig einig. Noch ein Zeichen der Zeit?
Schweden mag vielleicht extrem darin gewesen sein, die Ankündigung der Rückkehr Jesu als Druckmittel zur manipulativen Beeinflussung in Gottesdiensten oder bei der Evangelisation zu gebrauchen – auch wenn das in guten Absichten geschehen sein mag -, doch Schweden ist sicher nicht allein. Wir hören sehr ähnliches aus den 1970-er Jahren in den USA, was wiederum einen großen Teil der westlichen Christenheit beeinflusst hat, auch Deutschland. Das große, große Problem dabei ist, dass bei dieser Art der Eschatologie alles zu einem braunbrockigen Eintopf verrührt wird: Die Vorzeichen, die Verfolgung, das Ende Jerusalems, die Trübsal, die Wiederkunft Jesu, das Gericht, die Hölle. Alles zusammen eine ätzende Pampe, die einem Angst und Bange macht. Während die ersten Jünger sich aber in Apostelgeschichte Kapitel 1 nichts sehnlicher gewünscht hätten, als dass ihr guter Herr gleich jetzt und sofort zurückkehrt, so, wie er gerade eben auch gefahren ist, verknüpfen wir die Rückkehr Jesu heute mit Sorge und Verlegenheit, vielleicht sogar mit Schreck und Schauder.
Wie kann das gute Nachricht sein? Wenn in unserer gefühlten Eschatologie Aslan zum Leviathan wurde und uns nun seine Wiederkunft droht, werden wir nie aus ganzem Herzen “ja, komm Herr Jesus!” beten können, wir werden uns auf nichts so wirklich freuen können und unseren Halt verlieren, unser Glaube wird in den fortschreitenden Ereignissen ins Bedeutungslose versinken und irgendwann vermutlich völlig verschwinden. Das ist genau das, wovor Jesus eigentlich warnt.
“Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter , weil sich eure Erlösung naht.”
Lukas 21,28
Gewiss, ein eschatologischer Frischling mag als unbeschriebenes Blatt der Versuchung erliegen, den Reiter auf dem weißen Pferd aus Offenbarung 19 als logische Fortsetzung der Schreckensreiter aus Kapitel 6 zu sehen und zu schlussfolgern, dass es mit jedem Pferd ein bisschen schrecklicher wird. Doch das ist großes, großes Anfängerunglück. Denn so wie Israel die erste Ankunft des Messias als Befreiung von allen politischen Besatzern erwartete, so wird wird die Parusi, also das zweite Kommen des Messias, eben auch genau das werden: Nicht nur eine geistliche Erlösung, sondern auch eine physische – der Abgang des Sensemanns, der Exitus aller Entzündungen und Enttäuschungen, das Ableben aller Verletzungen und Seelenzerrungen, das Hinscheiden der Seuchen, Schmelzen der Despoten, Abkratzen allen Krebses, eine Befreiung von all den Milliarden Nadelstichen, Lasten, Schlägen, Seufzern und dergleichen mehr, die uns seit Jahrtausenden permanent das Leben schwer machen. Die Wiederkunft Jesu muss also in größtmöglichen Kontrast zu den Zeichen der Zeit, den Verfolgungen, Kriegen, Erdbeben, Klimatrübsal und allem, was sonst noch folgen wird, gesehen werden! Kontrast, Erlösung, Befreiung! Der Auferstandene macht endlich Feierabend mit den destruktiven Kräften, die uns nach ihrer Pfeife tanzen lassen, wir werden zum ersten Mal genau das Leben erfahren, nach dem wir alle uns eigentlich permanent gesehnt hatten, dem wir ständig nachgejagt sind wie die Katze dem Laserpointer, immer und immer und immer wieder, ohne es je wirklich fangen zu können, so sehr wir uns auch anstrengten. Doch nun! Nun, da Jesus wieder da ist, spüren wir es plötzlich in der Seele wie früher das warme Wasser auf der Haut, wenn wir genüsslich in ein paradiesisches Meer oder einen wunderbaren See eintauchten. Endlich Erlösung und Friede, der ewige Krieg, die ständige Unruhe sind vorbei.
Es ist so wichtig, sich immer wieder auf den Punkt der Erlösung zu konzentrieren, sich konkret auszumalen, was genau das im eigenen Leben bedeuten mag, wie Erlösung im konkreten Fall aussehen kann und aussehen soll, denn exakt dazu wird der Erlöser kommen. Nur, wenn uns das so plastisch wie möglich bewusst wird, werden wir im alten Dreck durchhalten können, denn ja, der Dreck wird penetranter und die Zeiten härter werden. Doch bedenkt man die oben erwähnten Zeichen der Zeit vor allem im Kontrast der Erlösung, dann werden wir zwar nicht weniger seufzen oder trauern müssen, aber wir bleiben stabil. Hoffnung, Vorfreude, das Festhalten an der großen Befreiung machen uns friedlicher, freundlicher, widerstandsfähiger, stressresistenter. Wir werden keine laut flatternden Wendehälse. Und damit geben wir Orientierung in einer Welt, die gerade nichts dringender baucht. Und unserem Frust, der sich zweifelsohne immer wieder aufbauen wird, können wir immer wieder Luft machen mit dem ernsten Gebet: “Ja, komm, Herr Jesus. Komm bald!” Denn wir haben nur zu gewinnen und nichts zu verlieren.