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“Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.” Über Mt 16,18 lässt sich viel rätseln und diskutieren, doch eins ist unbestritten: Hier wird ein neues Wort eingeführt, eines, das in der Bibel bislang noch keine Verwendung fand, doch fortan ein sehr große Rolle spielen wird: das Wort Gemeinde

Gemeinde. So übersetze Luther das neue Wort aus Jesu Mund. Nun ist das so eine Sache mit Sprache und Wörtern. Wenn ich z.B. “Auto” schreibe, ist es leicht, sich das Richtige  vorzustellen. Schreibe ich hingegen “Fierpe” oder “Stroß”, woran denkst du dann? Neue Wörter sind weder mit Bedeutung noch Geschichte gefüllt. Achte nur mal drauf, was vor deinem inneren Auge abgeht, wenn ich ein gut bekanntes, frommes Wort wie Gottesdienst schreibe! 
Das ist genau der Grund, warum H2O keine “Gottesdienste” veranstaltet. Für knapp 100% der einheimischen Bevölkerung ist ein Gottesdienst nämlich eine klassische Sonntagvormittagveranstaltung, wo vorne in einem sakral gestalteten Raum von einigen besonders begabten, berufenen, ausgebildeten oder vorbereiteten Menschen eine eintrittsfreie, christliche Vorführung mit Musik, Liturgien und einem längeren Monolog angeboten wird, welches von einem religiös interessierten und in Reihen sitzenden Publikum weitestgehend passiv verfolgt wird. Fast nichts von alledem trifft aber auf H2O zu. Um nicht ständig erklären zu müssen, was H2O nicht ist oder macht, bieten wir lieber “Impressions” an. Eine Worterfindung, die wir mit Bedeutung und Inhalt füllen durften. Man darf sich überraschen lassen und Neues entdecken. Vielleicht hat Jesus mit ähnlichen Absichten von Gemeinde gesprochen und nicht davon, dass er auf jenem Felsen seine messianische Synagoge bauen will. 
Lesen wir hingegen 2000 Jahre später Mt 16,18, denken wir vielleicht über Petrus nach. Oder Felsen. Oder fragen uns, was Jesus mit den Pforten der Hölle wohl gemeint haben könnte. Wir widmen uns gewiss nicht mit gleicher Inbrunst dem Wort Gemeinde, denn Gemeinde ist uns doch so selbstverständlich wie Auto oder Messer oder Gabel. Gemeinde ist nämlich für die allermeisten heutzutage – Christen eingeschlossen – im Kern eine Räumlichkeit, wo Menschen Gottesdienst (s.o.) feiern. Ohne Räumlichkeit und Gottesdienst fällt es schwer, eine Gemeinde zu identifizieren. Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen den Gemeinden:
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Manche haben einen Kichbau, andere ein Klassenzimmer.
Manche haben einen Beamer, andere rote Gesangbücher.
Manche haben einen Pfarrer, andere einen Bruder.
Manche haben Schlagzeug, andere eine Orgel. Einige sogar beides. 
Manche sitzen auf Bänken, andere in Stuhlreihen. 
Manche predigen länger, andere kürzer. 
Manche haben mittwochs Kleingruppe, andere donnerstags. Einige gar nicht. 
Mit solchen Legosteinchen haben wir unser unbewusstes Gemeindebild gebaut. Genauso erleben wir Gemeinde. Weil das ja klar ist. Deshalb geht man auch schnell über zu den eher unklaren Teilen von Mt 16,18. 
Ich sehe das anders. Ganz anders. 
Mich fasziniert, dass Jesus hier ein völlig unerwartetes Wort gebraucht. Ich sehe die Jünger förmlich vor ihm sitzen, aufzuckend, die Augen leicht zusammenkneifend, die Köpfe schräg legend und sich gegenseitig kurze Blicke zuwerfend. Einige grinsen vielsagend. Andere fragen sich: “Echt jetzt?! Hat er das wirklich gesagt?” Judas Iskariot ist wahrscheinlich aufgestanden und muss ein innerliches “YESS!!” hervorgestoßen haben, vielleicht noch andere mit ihm. Der aramäische O-Ton Jesu liegt uns leider nicht vor, wir müssen uns auf die griechische Übersetzung verlassen und darauf vertrauen, dass der Heilige Geist das korrekte Wort gewählt hat. Doch da der hochgebildete und vielsprachige Paulus später exakt dasselbe Wort verwendet, liegt sehr nahe, dass “ekklesía” die perfekte Übersetzung für das ist, was Jesus auf den Felsen bauen möchte. 
Dieser Aussage war eine Menge Verwirrung vorausgegangen. “Wer ist dieser Nervbold Jesus, verflixt nochmal?!” fragten die gereizten Pharisäer und forderten einen himmlischen Ausweis dieses Wanderrabbis. Jesus zeigt ihnen keinen, lässt sie absichtlich unwissend. Stattdessen erklärt er seinen Jüngern, sich von religiösen Arroganten wie den Pharis fernzuhalten. Die Jünger sind erstmal etwas überfordert mit dieser Warnung. 
Dann fragt Jesus seine Truppe, was sie denn so mitkriegen von dem, was auf den Straßen über ihn getratscht werde. Eine Frage, die Jesus ziemlich menschlich macht. Sie diskutieren die neuesten Gerüchte und lachen sich schlapp. Dann sieht Jesus sie vergnügt an: “Und ihr?! Was glaubt ihr?”
Plötzlich wird es still und ernst in der Runde. Nachdenken, Unsicherheit. Petrus bricht das Schweigen. Im Ernst jetzt. Du bist der Messias, direkt von Gott gekommen. 
Kawumm. Bombe geplatzt. Den Jüngern fallen die Kiefer runter. Petrus hat gesprochen, was alle sowieso schon gedacht hatten, aber keiner sich zu sagen traute. Einerseits hätte niemand als der Messias Menschen heilen, Brot vermehren, Sünden vergeben oder predigen können wie ihr Meister. Andererseits war Jesus so anders. So nah, so normal. Kein typischer König mit typischer Macht. Wie wollte er so Israel je befreien können? Mit ein paar untrainierten Blinden vielleicht, die jetzt wieder sehen konnten?! Hatte dieser, mit Verlaub, Zimmermann überhaupt die geringste Schnitte gegen den vor Macht nur so strotzenden Welteroberer Rom? Hatte er überhaupt Ahnung von Politik?! Von Strategie und Heeresführung? Was würde er nun sagen, jetzt, da Petrus ihn vor allen als Messias, als gesalbten König, als rechtmäßigen Herrscher Israels betitelt hatte?!
Mit voller Aufmerksamkeit lauschen Sie seiner Reaktion. Sie ist geheimnisvoll wie immer, aber Jesus widerspricht Petrus nicht! Im Gegenteil, er bestätigt ihn! Er ist also wirklich der Messias!! Er ist der versprochene, erwartete Befreier, der neue Präsident, der Gesalbte, unser König!!! Gott hat ihn endlich gesandt! Plötzlich spielt es keine Rolle mehr, dass er aus einfachen, fast schon ärmlichen Verhältnissen in Nazareth stammt. König David hatte es auch vom Schafhirten auf den Thron geschafft. Und welch ein König war David gewesen! Ein siegreicher Krieger! Doch bevor er den Thron einnahm, zog auch David mit seinen dubiosen Banden durch das Land. Mit Jesus war es ganz ähnlich, nur dass er die Armen und Kranken heilte und die Mächtigen provozierte. Und sie, die Jünger, durften dazugehören, waren Teil der dubiosen Bande, mit der der Messias herumzog! Welch Vorrecht! Hier bahnt sich eine steile Karriere an, denken die Jünger. 
Jesus redet weiter. “Petrus, auf Leute wie dich kann man sich felsenfest verlassen. Nicht, weil sie perfekt sind, sondern weil sie kapieren, mit wem sie es bei mir in Wahrheit zu haben und ihr euch deshalb felsenfest auf mich verlasst. Deswegen werde ich ausschließlich mit Leuten wie Dir, Felsen, mein Parlament bauen.” 
“Hurra!” denkt vor allem Judas Iskariot und sein Blutdruck steigt weiter vor Aufregung, weil er schon längst der Meinung ist, das politische Aktionen überfällig sind. Aber auch Judas der Zelot, der von einer radikalen Untergrundbewegung zum Club der Zwölf gekommen war, grinst jubelnd. Endlich wird hier Tacheles geredet! Der wahre und rechtmäßige König kündigt hier und jetzt sein neues Parlament an – und wir sind dabei!! 
Zur Erklärung: Ekklesía ist zwar ein nagelneues Wort in der Bibel, es war aber keine nagelneue Worterfindung zur damaligen Zeit. Es ist so ähnlich wie mit dem Wort Evangelium: im Römerreich allseits bekannt und verwendet, wenn auch nicht in religiösen Kreisen. Die Bibel kapert Wörter wie Evangelium oder Ekklesía, knüpft an die allseits bekannte Bedeutung an und gibt ihnen eine neue Dimension. 
Ekklesía war nichts anderes als der politische Rat, welcher sich zu bestimmten Zeiten an einem vereinbarten Ort traf, um aktuelle Begebenheiten zu diskutieren, Maßnahmen zu ergreifen oder Gesetze zu verabschieden. War ein dringender Beschluss erforderlich, ging ein Helfer laut rufend durch die Straßen, um die Abgeordneten über Zeit und Ort der dringenden, außerordentlichen Sitzung zu informieren. Das muss ziemlich oft passiert sein, denn daher hatte der Rat seinen offiziellen Namen, die “Herausgerufenen“, hergeleitet von den griechischen Wörtern èk (heraus) und kaléo (rufen), was schließlich ekklesía wurde, die herausgerufene, politische Leitung einer Region. 
Die Jünger mussten das, was Jesus hier sagt, politisch verstehen. Anders ergibt ekklesía keinen Sinn. Jesus gibt seinem noch zu bauenden Parlament dennoch sofort eine neue Dimension: Das ist kein gewöhnliches Parlament wie jedes andere – hier liegt der Schlüssel zu einer nagelneuen, ewigen Welt! Und nicht nur das, hier liegt auch Macht und Autorität, von der die übliche Politik nichts weiß. Die Entscheidungen und Beschlüsse, die mein Felsenparlament in dieser alten Welt fassen wird, sind schon Teil der neuen Welt und werden die Ewigkeit beeinflussen!

Abrupt setzt Jesus dem Gespräch ein plötzliches Ende: Genug davon! Sagt bloß keinem, dass ich der wahre König und Herrscher bin! Es ist interessant, dass Jesus vom himmlischen Parlament in all seinen Reden nur noch ein einziges, weiteres Mal spricht, doch auch hier wieder im Zusammenhang mit Autorität und ernsten, weitreichenden Entscheidungen (Mt 18,17). 

Gemeinde als ekklesía, als beschlussfassendes Organ der kommenden Welt, Teil einer neuen Schöpfung, politische Vertretung des Herrschers alles Existierenden, aller Präsidenten, Kanzler, Weltherrscher; als die Schon-jetzt-Verkörperung des Noch-nicht. Gemeinde, die mit himmlischer Autorität aktiv in die Brennpunkte der alten Welt eingreift, um neue Akzente und heilsame Kontraste zu bilden. Wenn ich so darüber nachdenke, sehen nicht alle heutigen Gemeinden wie ein strebsames Parlament aus, welches für die Umsetzung himmlischer Politik in der eigenen Region kämpft. Oft fragen wir uns noch nicht einmal, was der Himmel ist, geschweige denn himmlische Politik und wie sie aussehen könnte. 
Eigentlich müssten wir in unseren christlichen Gemeinden Bibel und Zeitung gleichzeitig lesen und ständig auswerten, getrieben von dem Wissen, dass uns die Schlüssel und der Geist gegeben wurde, Heil in diese Welt zu bringen, den Himmel jetzt schon durchschimmern zu lassen, ständig mit dem kommenden Herrn der kommenden Schöpfung kommunizierend, Ihn um Ressourcen ersuchend und um Weisung bittend. Sobald eine neue Nachricht die Stadt erschüttert, dann sollten wir uns herausrufen lassen, um zu beraten, was unser himmlischer Beitrag sein kann und sollte, wie jeder einzelne in unseres Parlamentes zur Umsetzung beitragen wird. Das wäre nach Röm 12,1 wahrer Gottesdienst. Und wir wären wahre Ekklesía. Und das wiederum wäre wahres Evangelium: Jesus ist Herr und nicht der Kaiser.

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marcusis@icloud.com

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