Das erste Mal ist immer besonders. Egal, ob himmelhoch jauchzend oder vielleicht doch eher enttäuschend, für den Rest des Lebens erinnert man sich ganz besonders an die ersten Male, die die Seele berührten. Selbst, wer die 50 passiert hat, ist nicht zu alt, noch so manches zum ersten Mal zu erfahren.
Es war keine kleine Angelegenheit für mich, zum ersten Mal echte, professionelle Seelsorge in Anspruch zu nehmen. Das Ausmaß der diesjährigen Winterdepression war mir Warnsignal genug. Es war ziemlich offensichtlich, dass mehr dahinterstecken musste als nur Dunkelheit und Vitamin-D-Mangel. Doch wer in aller Welt könnte mir ein guter Seelsorger sein? Wer ist ausgebildeter Profi und kennt gleichzeitig die Höhen und Tiefen des Missionslebens, weiß um Himmel und Hölle interkultureller Gemeinschaften, kann meinen großen Frust über die jüngsten Entwicklungen der Organisation verstehen, kennt mich und meine Familie und hat obendrein mein volles Vertrauen? Bei so vielen Filtern kam eigentlich nur einer in Frage: Hud McWilliams, Doktor der Psychologie, Autor, Mitgründer von CA, langjähriger Pastor für unsere internationalen Missionare. Obendrein hatte er Communitas wenige Jahre vor seinem Ruhestand freiwillig und unerwartet verlassen, und ich habe nie verstanden, warum, nur gespürt, dass hier irgendwas vorgefallen sein muss. Ein extrem weiser Mann vom Typ Gandalf, der stets die richtige Frage zu stellen oder den rechten Kommentar zu geben weiß. Er ist als Psychologe immer noch in einer Gemeinschaftspraxis aktiv, um seine Rente etwas aufzustocken. Hud und seine Frau haben vor vielen Jahren eine ganze Woche in unserem Haus gewohnt und mit unserer Familie gespielt und Zeit verbracht, als wir noch etwas Trubbel mit dem damaligen H2O-Team hatten. Im April hatte ich das Vorrecht, mich eine Woche lang bei ihm daheim einzuquartieren.
Das erste Mal Seelsorge in dieser Form war eine Frischwasserkur. Einige der besten, wohtuendsten und wichtigsten Aufschlüsse, die ich mit nach Hause nahm, waren einerseits, dass ich wohl doch nicht total daneben liege, wenn mir manche Dinge, die mir in den letzten fünf Jahren bei Communitas widerfahren sind, suspekt vorkamen. Mein Bauchgefühl hatte nicht völlig unrecht, und das gibt mir neues Selbstvertrauen.
Zweitens stellte sich heraus, dass Hud und ich dieselbe Persönlichkeitsstruktur nach Myers-Briggs haben, wir sind beide sogenannte INTJs. Wer jemals einen (guten!) Persönlichkeitstest gemacht hat, weiß, wie extrem wohltuend die Resultate sein können. Endlich fühlt man sich verstanden! Es gibt statistisch nur sehr wenige INTJs in der Welt, wir sind sozusagen die Ausnahme, doch haben alle INTJs z.B. gemeinsam, sich ständig einsam zu fühlen. Hud geht es so, mir geht es so, allen INTJs geht es so. Wunderbar! Ich bin also völlig normal! Außerdem gingen wir die Forschungsergebnisse durch, wie INTJs mit Stress umgehen, was Stress mit uns macht und wie wir die für uns typischen Fallen vermeiden können. Ich konnte jede Liste Punkt für Punkt abhaken, genauso bin und reagiere ich. Evangelium! Jetzt weiß ich, was es zu tun gilt!
Außerdem gingen wir etwas mehr in die Tiefe. Wir gingen wichtige Stationen meines Lebens durch und stellten fest, dass Gott mich wahrscheinlich auf die nächste, und womöglich letzte Phase meines Dienstes vorbereitet. Hier gilt es, besonders wachsam zu bleiben, um in diesen turbulenten Gewässern nicht auf Grund zu laufen. Denn der Teufel tut alles, damit Leiter möglichst niemals erfolgreich in diese Phase segeln. Was das für mich im einzelnen bedeutet, weiß ich noch nicht.
Schließlich knöpfte Hud mir eine Sache immer und immer wieder und noch einmal an. Etwas, das mich sehr überrascht hat. Marcus, vernachlässige deine Kreativität nicht! Mach Fotos, Filme, mach Musik! Wir glauben zwar gerne, solche Annehmlichkeiten zugunsten “wichtigere” und “geistlichere” Dinge opfern zu müssen, aber das ist eine Lüge. Was wir in Wahrheit müssen, ist immer dafür sorgen, dass die Seele Freude hat. Ein ausgebrannter Griesgram kann kein frohes Zeugnis sein. Was immer zur Freude der Seele beiträgt, müssen wir schützen – und tun.
Mit solchen Einsichen kam ich also nach einer Woche wieder nach Hause. Und mit vielen Gedanken im Gepäck, die mir alle predigen, dass es so manches in meinem Leben zu bedenken und zu ändern gibt. Dem werde ich hohe Priorität geben und in den kommenden Monaten viel Zeit widmen.