Vor wenigen Tagen wurde der folgende, kurze Vortrag veröffentlicht und ich sah ihn mir zusammen mit meiner Tochter an:
Meine Tochter, eine junge Frau im Studentenalter und in einer festen Beziehung, schmiedet wie alle jungen Menschen gerade ihre eigene Zukunft und kann die im Vortrag erwähnten Fragen und Ängste ihrer Generation nur allzugut verstehen.
Hinterher fragte sie mich: “Papa, kannst du die Frage, ob man in diese Welt überhaupt noch Kinder setzen sollte, überhaupt verstehen? Hast du damals ähnliche Gedanken gehabt?” Was antwortet man auf eine solche Frage?
Am Besten die Wahrheit.
Nein, ich wollte keine Kinder. Dass ich mich im Umgang mit Kindern für ungeschickt hielt und Nachwuchs außerdem oft als teuer, laut und lästig ansah, war da eher Nebensache. Der Hauptgrund war in der Tat auch damals schon die Umwelt. Saurer Regen, Chemie in Flüssen, Terrorismus, Kalter Krieg. Das waren einige Nachrichten meiner jungen Tage. Meine Familie besaß Wald und genau dort habe ich sehr viel Zeit verbracht; der Geruch von Harz und Nadeln beschert mir heute noch Geborgenheit und Glücksgefühle. Doch als Teenager sah ich Wälder sterben und Fische verschwinden. Ich wollte nicht, dass meine eigenen Kinder in einer zerstörten Welt aufwachsen.
Hätte ich einen Partner gehabt, der keine Kinder gewollt hätte, so wäre ich sofort einer Meinung mit ihr gewesen. Hatte ich aber nicht. Meine Frau wollte mindestens zwei und höchstens vier Kinder. Das war ihr sehr ernst. Ich war gezwungen, mich ganz tief in meinem Herzen mit der Frage zu beschäftigen: Will ich in diese Welt Kinder setzen?!
Die Entscheidung fiel in einem Gottesdienst.
In den Wochen und Monaten zuvor war mir klar geworden, dass Kinder kein Besitz sind. Keine Spielzeuge. Auch keine Trophäen für die Eltern. Kinder sind wie Pfeile, die man gezielt abschießt, die Eltern sind wie der Bogen und die Sehne. Kinder großziehen heißt seiner Verantwortung für die Gesellschaft von morgen nachkommen. Ich hatte damals schon viele kaputte Familien gesehen und war zu dem Schluss gekommen, dass es immer Arme und sozial schwache Menschen geben wird. Sie werden vermutlich ebenfalls immer Kinder bekommen. Meine Frau und ich hingegen würden wahrscheinlich in der Lage sein, unseren Kindern ein geborgenes Heim ohne Überlebenskampf, Alkoholmissbrauch oder Gewalt geben zu können. Wir könnten eine mutige und hoffnungsvolle Familie sein. Wir würden sicher keine perfekten Eltern werden, und dennoch in der Lage, Kindern Liebe, Sicherheit und Geborgenheit zu geben, und zwar mindestens bis der große Zeitpunkt gekommen sein wird, den Pfeil freizugeben und von uns weg durch die Luft zischen zu sehen – mit für uns unbekanntem Ziel. Denn das Ziel bestimmt weder Pfeil noch Bogen, sondern wer beides in der Hand hält.
Die Welt von morgen braucht viele lebendige Bausteine, verantwortungsbewusste, mutige, humorvolle, liebende Menschen. Wenn ich also Kinder will, dann zu diesem Zweck und mit diesem goldenen Ziel. Ja, und dieser Verantwortung wollte ich mich stellen, so entschied ich mich an jenem Sonntagmorgen während des Gottesdienstes. (Der Gottesdienst hatte übrigens nicht das Geringste mit Kindern oder Zukunft zu tun, aber das macht ja nichts.)
Erst viele, viele Jahre später lernte ich, dass das wahrschenlich der große Sinn hinter Jeremia 29,5-6 ist:
Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte, nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt euren Töchtern Männer, dass sie Söhne und Töchter gebären, und mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.
Für Israel war die Welt ebenfalls untergegangen, als ganzes Volk waren sie im Ausland gefangen, ihr Heimatland war völlig zerstört und verbrannt. Das ist zwar einerseits ein kleinerer Maßstab als die heutige, heranreifende und globale Klimakrise, aber gefühlt war es sicher genauso schlimm: Alles aus! Alles vorbei! Keine Hoffnung mehr! Wir werden alle umkommen! In dieses Gefühl gibt Gott die obige Botschaft. Denn mit Gott gibt es immer eine Zukunft der Liebe und Hoffnung – auch wenn die Zukunft alles andere als ein Kinderspiel wird.
Um die Frage der obigen Überschrift also zu beantworten: In diese Welt kann man nicht nur Kinder setzen, in diese Welt muss man Kinder setzen. Denn was ist ein gewolltes Kind, wenn nicht ein lebendiges und intensives Statement der Liebe und der Hoffnung?
Am 3. Juni 2017 wurde der erste Pfeil offiziell losgelassen. |
Gute drei Monate später, am 15. September 2017 folgte der zweite. |
Ein Jahr später pfiff der dritte von dreien durch die Luft. |