Oktober 21 – Februar 22
Es ist meine Berufung, Menschen auf Jesus neugierig zu machen. Alles, was dazu führt, dass eine Atheistin nicht mehr ganz so atheistisch argumentiert, ein Schelm nicht mehr so viele Witze über Kirche und Christen macht, ein Besserwisser beeindruckt sein kann oder ein Großmaul es wagt, auch mal kleinlaut zu sein, verschafft mir ein wohliges Glücksgefühl. Übertroffen wird es, wenn es sich nicht nur um einmalige Äußerungen, sondern einen beginnenden Sinneswandel handelt. Das Sahnehäubchen wäre, wenn man nicht nur argumentiert, sondern offen und ehrlich über die Grauzonen des Lebens austauscht.
Das mag so simpel klingen wie es kompliziert ist. Denn all das braucht Zeit, viel Zeit, sehr viel Zeit. Es beginnt damit, diese Atheisten, Schelme, Besserwisser oder Großmäuler überhaupt erstmal zu treffen, denn in Kirchen halten sie sich selten auf. Miteinander muss man dann lernen, über mehr als nur das Wetter zu reden – ohne den anderen zu überfordern oder gar überfahren. Denn das würde bedeuten, sie oder ihn zu verlieren, denn solche Beziehungen hängen lange am seidenen Faden.
Unter meinen “Klienten” wird es nur wenige geben, die sich zu klassischen Gemeindemitgliedern “bekehren” werden, das musste ich einsehen. Oft sitzen die Verletzungen viel zu tief, sind die Vorurteile zu groß, ist der Abstand zur frommen Gemeindekultur zu riesig. Meine Hauptaufgabe ist also das Pflügen – und das kommt lange vor dem Säen oder gießen, von dem Paulus spricht. Oft genug geht noch nicht mal der Pflug durch, weil hier alles zubetoniert ist. Verwandle mal mit deinen Händen einen Parkplatz zum Kartoffelacker.
Gesellschaftlich sind wir gut im Verstädtern und Versiegeln. Diese Urbanisierung ist eine wachsende Herausforderung, und das Gleichnis vom Sämann klänge heute: “…doch das meiste fiel auf den Teer”. Christen wissen selten, wie man Pflanzen den Asphalt durchbrechen lässt.
Es dauerte lange, bis ich einsah, dass meine Aufgabe das Aufweichen und Pflügen ist, vielleicht sogar das Säen. Den Rest muss ich anderen überlassen. Ich bin ein Pionier. Beim Erschließen neuer Wege wird man nicht nur müde, man verletzt sich auch.
In diesem Winter hat Gott mir ein besonderes Ereignis geschenkt. Es war seine Reaktion auf eine Aussage, die ich ich mich immer häufiger sagen hörte: “Ich wünschte, ich könnte öfter weinen.” Ein undefinierter Schmerz spukte in meiner Seele herum. Und dann schneite es, ich stürzte und prellte mir die arthrosegeschädigte Schulter. Trotz Morphium war der Arm erstmal nicht zu gebrauchen.
Doch in der Nacht darauf öffnete der körperliche Schmerz ein Ventil für den seelischen. Ich begann zu weinen, laut, lang und heftig. Währenddessen zogen Bilder an mir vorüber, klar und deutlich wie eine Diashow. Menschen, mit denen ich ein Stück gewandert bin, denen ich Salz und Licht sein wollte, denen ich mal half, mal Seelsorge anbot, in die ich Hoffnung gesetzt, Zeit, Kraft und Geld investiert, die ich geliebt habe. Sie alle sind wieder aus meinem Leben verschwunden, die Frucht bleibt mir verborgen. Die Kehrseite der Liebe ist Trauer, denn alles, was wir lieben, kann und wird uns genommen werden. Karen hielt mich fest und gab mir Trost und Halt. Hinterher ging’s mir etwas besser.
Die Studenten des Studienzentrums Göteborg, einem von ingesamt sechs Zentren der ALT-Akademie.
In diesem Licht versteht man, warum dieser Herbst, Winter und Frühling anstrengend für mich sind: Mir bleibt kaum Zeit, meiner Berufung nachzugehen, Menschen zum Umdenken anzuregen. Stattdessen sitze ich in Planungstreffen für Unterrichtsstunden, gebe Vorlesungen an immer mehr Tagen, selbst Samstagen, benote tagelang immer wieder dieselben Antworten der Examensfragen. So sehr ich ALT mag und so wichtig ich theologische Ausbildung finde, so sehr frage ich mich im Moment auch, ob ich meinen Einsatz dort nicht reduzieren sollte. Denn wenn man seine Berufung kennt, muss man wachsam sein, davon nicht abgelenkt zu werden. Denn die listigsten Ablenkungen kommen nicht selten im frommen Gewand daher.
… und leite mich auf ewigem Wege.
Psalm 139,24
Lässt man sich nämlich nicht ablenken und nimmt sich die Zeit, mehr oder weniger überzeugte Nichtkirchengänger angebracht zu begegnen, dann können Videos wie dieses entstehen. Hier haben sich echte Menschen selbst gefilmt um zu sagen, was sie von Tro & Tvivel halten. (Wir haben sie gebeten, dass zu tun, weil Tro & Tvivel einigen frommen Entscheidungsträgern nicht fromm genug erscheint, um meiner Teamkollegin Mia das Budget ihre Teilzeitanstellung zu erhalten. Also fragten wir unsere nichtkirchlichen Freunde, nach ihrer Meinung dazu.)
Tro & Tvivel ist Gottes Dienst an mir.
Peter L.